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Endstation Mosel

Endstation Mosel

Titel: Endstation Mosel
Autoren: Mischa Martini
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    *
    Der Mann hinter dem Steuer schenkte den Kaffee aus der Thermoskanne wie immer dreiviertel hoch in den Becher.
    Rock-Musik hörte er am liebsten, wenn er nachts arbeitete. Johan war darauf seit vielen Jahren konditioniert wie ein Pawlowscher Hund. Mit dieser Musik verband sich für ihn Konzentration, Übersicht und, was bei seiner Arbeit immer, aber besonders bei Nacht, nötig war: Wachbleiben.
    Lenny Kravitz sang American Woman. Das eintönige Nageln des Dieselmotors, die Strecke, die er fast so oft gefahren war, wie er diesen Song gehört hatte. Er brauchte keine Karte, er kannte jeden Kilometer, jede Biegung, jedes Hindernis.
    Die Brücken von Trier und Schweich lagen hinter ihm. Die Mosel stand hoch und machte den Kahn schnell, nur ein Meter fehlte bis zur Hochwassermarke. Erst am späten Sonntagabend, vor ein paar Stunden, war der Fluss wieder freigegeben worden. Johans ganze Terminplanung war über den Haufen geworfen.
    Er griff nach dem Becher, in dem der Kaffee stets in Bewegung blieb, wie alles an Bord einem stetigen Hin und Her ausgesetzt war.
    Unter Deck war es wieder ruhig. Das Klopfen war verstummt. Hatten sie sich also wieder eingekriegt. Piet behauptete noch am Mittag, die Geräusche kämen eigentlich ganz anders zustande. Die würden die ganze Zeit über … Er hatte eine obszöne Handbewegung gemacht. Das wäre bei den Schwarzen so, er sei lange genug in Surinam gewesen. Als sich das Klopfen auch nach Stunden nicht gab, zuckte er nur mit den Schultern.
    Bis zur nächsten Schleuse war es nicht mehr weit, dahinter würde für die da unten die Reise zu Ende sein. Einen Tag später als geplant, aber was sollte es, wer es wirklich eilig hatte, der sollte ein schnelleres Fahrzeug wählen.
    Das Schiff tauchte in eine Nebelbank. Der nicht einmal hundert Meter entfernte Bug war nicht mehr zu sehen. In den dunkelgrünen Linien des Radarschirms erschien alles so, wie er es in Erinnerung hatte. Auf dem nächsten halben Kilometer war nichts Besonderes zu beachten. Nachdem Johan den Autopiloten eingeschaltet hatte, stellte er das Funkgerät auf Kanal 78 um.
    Ein Platzregen setzte ein. Hinter den Scheibenwischern strahlten die Scheinwerfer eine undurchdringliche Wattewolke an. Der Regen trommelte auf das Dach und unterlegte die Musik mit einem blechernen Stakkato. Johan schaltete auf Handsteuerung und legte den Maschinenhebel um ein paar Grad zurück. Er steuerte vom Ufer weg, um an der Longuicher Brücke nicht die Aufbauten abzureißen. Das Schiff passierte den weiten Bogen in respektvollem Abstand zum rechten Pfeiler. Dahinter schaltete Johan wieder den Autopiloten ein und ließ den Maschinenhebel bei voller Kraft einrasten.
    Im Radar tauchte ein Hindernis auf, viel zu groß, um daran vorbei zu kommen. Es sah aus, als würde ein Kahn quer zur Fahrrinne liegen. Johan blieb ruhig. Er stellte die Auflösung des Radars gröber. Das Fehlecho verschwand. Feinheiten würde er jetzt nicht mehr sehen können. Um diese Zeit waren keine Ruderboote mehr unterwegs und wenn – er würde sie nicht auf dem Schirm haben –, dann mussten sie sehen, dass sie aus seiner Bahn kamen.
    Er trank einen Schluck und behielt den Becher in der Hand. Bis Mehring war es nicht mehr weit. An der Feyener Staustufe und über nautische Information war auf eine Brückenbaustelle hingewiesen worden. Johan stellte den Kaffee ab. Der Regen trommelte unvermindert auf das Dach und an die Scheiben des Steuerhauses. Die Sicht wurde noch schlechter. Selbst die roten Bojen am Ufer waren verschwunden.
    Auf dem Radar tauchte vorne rechts ein Hindernis auf, ein Warnfloß. Wo blieb das Brückensignal, das auf dem Radarschirm den Fluss wie ein dicker Querbalken abriegeln sollte?
    Johan drosselte den Motor und stellte die Auflösung des Radars feiner. Mehrere dunkle Konturen zeichneten sich auf dem Schirm ab. Ganz nahe waren sie, viel zu nahe. Johan warf den Bugmotor an, den Blick unverwandt auf dem Radar lassend. Das da müsste ein vor Anker liegendes Schiff sein, aber wo war die Brücke? Er riss den Motorhebel nach hinten. Beide Maschinen heulten auf und liefen rückwärts. In seinem Rücken begann der Fluss zu kochen. Der Schwung des Frachters war zu groß. Er konnte nicht mehr allen Hindernissen ausweichen. Johan musste sich in Sekundenbruchteilen entscheiden. Auf keinen Fall durfte der Stillleger gerammt werden, vielleicht konnte er auch noch dem Warnfloß ausweichen und das Schiff bis zur Brücke wieder auf geraden Kurs bringen. Johan entschied
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