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Endstation Mosel

Endstation Mosel

Titel: Endstation Mosel
Autoren: Mischa Martini
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sich. Das Warnfloß sollte dran glauben. Das war das kleinere Übel. Es würde dem Stoß nachgeben. Wenn er Pech hatte, riss die Verankerung. Die Motoren jaulten. Das ganze Schiff vibrierte unter der Kraft der 1400 PS, die sich gegen den Sog des Flusses anstemmten.
    Der Frachter kam nicht mehr am Floß vorbei. Es war zu knapp. Das Schiff havarierte. Aber was war das? Der Schlag war gewaltig. Scheiße, das war kein Warnfloß! Johan wurde mit Wucht gegen die Frontscheibe katapultiert, in seiner Hand brach der Steuerknüppel ab. Das Ding da vorn gab keinen Millimeter nach. Krachend und knirschend schob sich der Frachter mit mehr als 2.000 Tonnen weiter. Das Leck im Bug riss um so gewaltiger auf. Endlose Sekunden später kam der Frachter für einen Moment zum Stillstand, um sich dann in Zeitlupe, wie ein Zirkel, mit dem Heck um den am Brückenpfeiler festsitzenden Bug zu drehen.
    Johan stieß sich von der Scheibe ab, an der sein Kopf einen blutigen Fleck hinterlassen hatte. Er löste das Dreitonsignal aus.
    Der Heck- und die beiden Buganker rasselten herunter, als Piet in Pyjamajacke und Unterhose ins Führerhaus stürzte.
    »Da vorne steckt ein riesiger Betonklotz im Boot«, krächzte er außer sich. »Was ist passiert, wo sind wir?« Er schlug mit der flachen Hand auf den Receiver. Die Musik brach ab.
    »Mehring, da stimmt was nicht mit der Brücke.«
    Es gab wieder ein krachendes Getöse. Das Schiff unterbrach für einen Moment die Drehung. Das Vorschiff löste sich unter dem Heulen aufgerissener Stahlplatten von dem Brückenpfeiler.
    »Oh Gott, hilf uns!« Piet ergriff das zweite Funkgerät.
    »Populis meldet schwere Havarie an der Mehringer Brücke, wir sind gegen den Brückenpfeiler gestoßen, starker Wassereintritt …«
    Das Schiff rumpelte und knirschte, die beiden Männer wurden an die Rückseite des Führerhauses geworfen.
    »Wir saufen ab …«
    Johan verharrte kreidebleich an der Stelle, wo er soeben hingeschleudert worden war.
    Piet schaltete die Motoren aus, die weiter an den Ankerketten zerrten.
    »Mach die Schotten dicht«, Johans Gesicht war ausdruckslos.
    »Was redest du?«
    Johan fasste sich an den Kopf. Mit blutiger Hand tippte er Piet an den Pyjama: »Du musst die da unten rausholen!«
    Das Dreitonsignal dröhnte unablässig seinen Notruf. Johan erinnerte es an die ersten drei Töne des Kinderliedes »Bruder Jakob«. Piet riss ihn aus seinen Gedanken und zerrte ihn aus dem Führerhaus. Das Schiff hatte sich um 180 Grad gedreht, den Bug stromaufwärts gerichtet. Vorn brauste das Wasser mit Wucht in den Kahn. Johans Augen brannten. Er wischte mit dem Arm darüber. Erst jetzt registrierte er das Blut, das den Ärmel seines Hemdes dunkel färbte und warm über sein Gesicht lief.
    Johan lauschte. Was war das? Immer, wenn das Notsignal für einen Moment aussetzte, war es zu hören. Da war es wieder, das Klopfen. Nur schwach hob es sich vom Rauschen des Wassers ab. Es war viel schneller als zuvor, wuchs zu einem Trommeln an.
    »Verdammt, was sollen wir tun?« Johan schwankte. Piet drängte ihn im letzten Moment von der Reling weg, sonst wäre er in den Fluss gestürzt.
    »Reiß’ dich zusammen!« Piet stieß ihn grob gegen die Abdeckung des Laderaums.
    Das Schiff senkte sich zum Bug hin ab. In der Ferne ertönte eine Sirene. Wenig später tauchten die ersten Blaulichter aus dem Nebel auf. Am Ufer wurden Schlauchboote zu Wasser gelassen.
    *
    Mitten in der Nacht schreckte Walde mit klopfendem Herzen auf. Im Traum war er in einem Ruderboot gefahren. Ein Erdbeben hatte eine riesige Welle auf ihn zu getrieben. Als das Wasser über ihm zusammenschlug, wachte er auf. Durch das Fenster drang ein schwacher Lichtschein.
    Er hörte Jos regelmäßige Atemgeräusche. Seit Jahren übernachteten sie auf ihren Wanderungen gemeinsam in einem Zimmer. Jos gleichmäßiges Ausatmen mündete in dem vertrauten leisen Schnarcher, wenn er zum Einatmen wechselte. Nur schwach zeichneten sich seine Konturen ab. Er lag da wie ein Walross beim Nickerchen am Strand.
    Walde drehte sich auf die Seite und drückte einen dicken Zipfel des Federbettes auf das freie Ohr. Jetzt hörte er nur noch das Rauschen seines Blutes und seinen Herzschlag, der langsam ruhiger wurde.
    Was machte seine Freundin Doris wohl in diesem Moment? Wahrscheinlich schlief sie tief und fest. Sie hatte einen guten Schlaf. Zwei Tage und zwei Nächte war er von ihr getrennt und hatte sie nicht angerufen, obwohl er ein Handy dabei hatte, damit das Präsidium ihn im
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