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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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    Achtes Schuljahr: Wann gibt’s endlich Sommerferien?
    Ömür
    Es ist mörderisch heiß. Ich habe Hofaufsicht in der langen Mittagspause und schleiche lustlos am Schultor herum. Auf der Nase klebt meine fette Sonnenbrille. Warum haben wir eigentlich nicht hitzefrei? Dann könnte ich wenigstens mal gemütlich den Kunstraum aufräumen. Frau Freitag, meine Freundin, die Lehrerin in einem anderen Stadtbezirk ist, hatte natürlich schon gestern früher aus und heute garantiert auch, denn deren Schulleitung ist viel generöser! Ich seufze.
    Ömür schlendert herbei. Er ist klein und dick und ein Problemkind.
    «Huh, Frl. Krise!», sagt er. «Coole Sonnenbrille. Versace!»
    «Hmm», sage ich. Dass die Jugendlichen immer so auf Markenartikel stehen!
    «Heiß, wa?» Ömur sucht einen Gesprächsanknüpfungspunkt.
    «Hmmm.» Mir ist zu heiß zum Reden.
    «Kriegen wir heute hitzefrei?» Ömür ist hartnäckig. Er schlürft laut an seiner Limo.
    «Ömür, woher soll ich das wissen? Nein, bestimmt nicht.» Zu trinken habe ich auch nichts.
    «Wieso nicht?» Er sieht mich mit großen Augen an.
    «Keine Ahnung!» Wie lange geht denn diese Pause noch?
    «Sind Sie schlecht gelaunt, Frl. Krise?» Ömür lässt ein Bonbonpapier auf den Boden segeln.
    «Ja! Nein …! Heb das Papier auf, Ömür!»
    «Frl. Krise?»
    «Ja?» Was denn noch?
    «Fällt Ihnen was auf?»
    « ?????????»
    Ömür breitet die Arme auseinander und dreht sich vor mir einmal um die eigene Achse.
    Ich mustere ihn eingehend. Klein, dick, wie immer! Weißes T-Shirt, graue Bermudas.
    «Warst du beim Friseur?»
    «Nein! Frl. Krise!!!»
    Er dreht sich noch einmal herum.
    «Echt, Ömür, ich weiß nicht, was du meinst!»
    «Frl. Krise! Ich habe keine Jacke an!» Er strahlt.
    «Ja, Mensch, Ömur! Stimmt! Wie konnte ich das übersehen! Super!» Seit zwei Jahren sehe ich ihn zum ersten Mal ohne seine blaue Kapuzenjacke.
    «Ja, wa? Ich habe drei Kilo abgenommen!» Er klopft sich stolz auf den Bauch.
    Ich bin ganz gerührt. Wie süß! Und ich Trottel habe nichts gemerkt. Und dass er zu mir kommt, um mir das zu erzählen! Es gibt doch auch schöne Momente im Lehrerdasein.
    Da klingelt es.
    Ömür dreht sich um und saust davon, seine Getränkedose wirft er in hohem Bogen in die Büsche!

Oh, mein Gott!
    Meine Kollegin Frau Herz sagt immer: «Was wir jeden Tag erleben dürfen! Dafür müssen andere bezahlen.»
    Kunstunterricht. Freitagmorgen. Achter Jahrgang, meine Klasse. Es sind nur zwölf Schüler da, die anderen besuchen heute irgendein Projekt. Herrlich. Es ist friedlich und ruhig, die Schüler zeichnen mit Tusche leise vor sich hin – ein kleines Bild, auf dem Streichhölzer eine Rolle spielen.
    Wir quatschen ein bisschen, doch nach einer halben Stunde beginne ich mich unterbeschäftigt zu fühlen. Es ist fast zu ruhig, so etwas bin nicht gewohnt, ja, mir wird direkt langweilig, und ich beginne mit den Hufen zu scharren. Ich könnte nebenbei aufräumen, ein Kunstsaal ist ja ein Ort des ständigen Kampfes gegen die Verwahrlosung. Aber dann fällt mir ein, dass ich die Akte von Nesrin noch in meiner Schultasche habe. Huch, die hätte ich schon gestern ins Sekretariat zurückbringen müssen!
    «Wenn ich jetzt mal ganz kurz was ins Sekretariat bringe, dann bricht hier doch kein Chaos aus, oder?», frage ich rhetorisch.
    «Nö, gehen Sie ruhig Seki, Frl. Krise», sagt Mustafa und lächelt mich an.
    «Okay! Bin gleich zurück!» Ich schnappe mir die Akte und tänzele vier Stockwerke runter zum «Seki». Akte in den Aktenschrank, noch schnell eine Minikonversation mit unserer Sekretärin (so viel Zeit muss sein) und wieder rauf. Das riecht aber komisch, denke ich im zweiten Stock, irgendwie … verkokelt … nach Brand oder so?!
    Die Streichhölzer! Auf meinem Platz lagen noch ein paar Päckchen. Mist! Ich beschleunige, so gut ich kann (die Treppe, die Treppe!), und brettere um die Ecke in den Kunstsaal.
    Der Kunstsaal ist riesig, eine ehemalige Aula. Ganz hinten sehe ich Gülten, die hektisch versucht, ein Feuerchen auf ihrem Tisch zu löschen, indem sie es in Zeitungspapier einpackt.
    Spinnt die?
    Ich gebe richtig Gas, und als sie mich sieht, schmeißt sie das halb brennende Päckchen in den nächsten großen knallvollen Papierkorb.
    Mit einem Handballersatz bin ich auch schon am Papierkorb und greife nach dem Päckchen, das jetzt richtig doll brennt. Wie eine Fackel! Aua, Schmerz, wohin damit?
    Vor meinen Füßen liegt Gültens Schultasche, na ja, es
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