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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir
Autoren: S Jio
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hast.«
    Sie lächelte mich an, wenige Schritte von mir entfernt auf dem Treppenabsatz, dann warf sie Maxine einen ärgerlichen Blick zu und riss die Vorhänge auf. »Guten Morgen, Liebes«, sagte sie und kam auf mich zu. »Ich wusste nicht, dass du schon auf bist.« Sie nahm mein Gesicht in beide Hände. »Du siehst müde aus, meine Kleine. Bist du gestern lange aus gewesen? Mit Gerard?« Sie sprach seinen Namen immer voller Aufregung aus, wie ein Kind, das von Weihnachten spricht. Es war nicht das erste Mal, dass sich mir der Eindruck aufdrängte, meine Mutter würde Gerard Godfrey am liebsten selbst heiraten.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, wir waren schon früh zurück.«
    »Und wieso hast du dann so dunkle Ränder unter den Augen?«
    »Ich konnte nicht schlafen«, sagte ich.
    Maxine kam schüchtern näher, in der Hand ein Kleid auf einem Bügel. »Antoinette«, fragte sie, »meinst du dieses Kleid?«
    Ich nickte.
    »Nennen Sie sie nicht so, Maxine«, fauchte meine Mutter sie an. »Sie ist kein Kind mehr. Sie ist eine erwachsene Frau, die bald heiraten wird. Bitte nennen Sie sie bei ihrem richtigen Namen.«
    Maxine nickte.
    »Mama«, krächzte ich. »Es gefällt mir, wenn sie mich Antoinette nennt.«
    Meine Mutter zuckte die Schultern. Ein Paar neue Diamantohrringe schaukelte an ihren Ohren. »Na ja, es spielt auch keine Rolle mehr. In einem Monat wirst du Mrs. Gerard Godfrey sein, nur das zählt.«
    Ein Schauer lief mir über den Rücken. Maxine und ich tauschten einen kurzen Blick aus.
    »Musst du unbedingt das rote Kleid anziehen, Liebes?« Meine Mutter legte den Kopf schief. Sie war eine schöne Frau, viel schöner, als ich es je sein würde, das wusste ich schon seit meiner Teenagerzeit. »Ich weiß nicht, ob dir die Farbe steht.«
    Maxine schaute meiner Mutter direkt in die Augen, was sie selten tat. »Ich finde, die Farbe ist perfekt für sie, Mrs. Calloway«, sagte sie bestimmt.
    Meine Mutter hob die Schultern. »Meinetwegen, zieh an, was du willst, aber wir müssen in zwei Stunden los. Am besten, du fängst schon mal an, dich fertig zu machen«, sagte sie und ging. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und fügte hinzu: »Und steck dir die Haare hoch, dann kommt dein Profil besser zur Geltung.«
    Ich nickte ergeben. Meine Mutter bezog alle einschlägi gen Modezeitschriften und fuhr jedes Jahr zu den Modenschauen nach New York und Paris. Weit mehr als die Mütter meiner Freundinnen legte sie großen Wert auf ihre äußere Erscheinung – nur Designerkleider, perfekte Frisuren, die neuesten Accessoires. Und wozu das alles? Mein Vater nahm kaum Notiz davon. Außerdem wirkte sie umso unglücklicher, je mehr Kleider sie anhäufte.
    Als meine Mutter außer Hörweite war, verdrehte ich die Augen. »Gott, hat die wieder eine Laune!«
    Maxine reichte mir das Kleid. Ich sah ihr an, dass der Ton meiner Mutter sie getroffen hatte. Wir gingen in mein Zimmer, und ich schloss die Tür.
    Ich hielt mir das Kleid an. »Glaubst du wirklich, dass es mir steht?«
    »Was ist los mit dir, Antoinette?«, fragte sie. Ihr Blick durchbohrte mich, verlangte Antworten, die zu geben ich noch nicht bereit war.
    Ich betrachtete meine nackten Füße auf dem Parkettboden. »Ich weiß nicht«, sagte ich zögernd. »Mir geht das alles viel zu schnell.«
    Maxine nickte. »Du meinst, das mit der Verlobung?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich liebe ihn. Wirklich. Er ist so ein anständiger Mann.«
    »Ja, er ist ein anständiger Mann«, bestätigte sie und wartete darauf, dass ich fortfuhr.
    Ich setzte mich aufs Bett und lehnte mich ans Kopfteil. »Ich weiß, dass niemand perfekt sein kann«, sagte ich, »aber manchmal frage ich mich, ob ich ihn mehr lieben würde, ob ich tiefere Gefühle für ihn empfinden würde, wenn er das Richtige täte.«
    Maxine hängte das Kleid an die Tür. »Wenn er sich zum Kriegsdienst melden würde?«
    Ich nickte. »Ich wünschte mir einfach einiges an ihm anders. An uns.«
    »Was denn zum Beispiel?«
    »Ich würde so gern stolz auf ihn sein, so wie die anderen Frauen, deren Männer in den Krieg ziehen«, sagte ich und dachte an verschiedene Paare, die ich kannte. »Und ich möchte Leidenschaft für ihn empfinden«, fügte ich verlegen kichernd hinzu. »Kitty meint, zwischen uns gäbe es nicht genug Leidenschaft.«
    »Und was meinst du?«, fragte Maxine.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Dann verscheuchte ich den Gedanken. »Was rede ich bloß für einen Unsinn. Was bin ich für eine Verlobte!« Ich
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