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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir
Autoren: S Jio
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wechseln. Verlobungspartys sind nicht zum Vergnügen der Verlobten vorgesehen.
    Als zum Abendessen geläutet wurde, schaute ich mich nach Kitty um. Da erst fiel mir auf, dass ich sie den ganzen Nachmittag nicht gesehen hatte. Seltsam, sie hatte seit einer Woche von der Party gewusst. Während des Abendessens blieb ihr Platz am Tisch neben mir leer. Und als die Band »You Go to My Head«, das erste Stück des Abends, spielte, begann ich mir Sorgen zu machen.
    »Gerard«, flüsterte ich ihm ins Ohr, als wir in der lauen Abendluft den Tanz eröffneten. Ich hatte das Gefühl, als wären tausend Augenpaare auf uns gerichtet, und es fiel mir schwer, sie zu ignorieren. »Kitty ist gar nicht gekommen. Ich mache mir Sorgen.«
    »Bestimmt hat sie sich mal wieder verspätet«, sagte er leichthin. »Du kennst sie doch.«
    Es stimmte, Kitty kam oft zu spät zu Verabredungen. Aber fünf Stunden zu spät? Noch dazu zur Verlobungsparty ihrer besten Freundin? Nein, irgendetwas stimmte nicht. Ich spürte es einfach.
    Ich lehnte den Kopf an Gerards Schulter, während er mich formvollendet über die Tanzfläche führte. Ich schloss die Augen, ließ mich führen und lauschte auf den Text des Stücks.
    You go to my head and linger like a haunting refrain … Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf, verfolgst mich wie ein betörender Refrain. Ging Gerard mir nicht mehr aus dem Kopf?
    »Gerard«, flüsterte ich, »hast du schon mal über den Krieg nachgedacht? Darüber, dich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden?«
    Er neigte den Kopf zurück, um mich zu betrachten. »Falls du dir Sorgen machst, dass ich eingezogen werden könnte, kann ich dich beruhigen, Liebling. Mein Vater hat dafür gesorgt, dass das nicht passiert.«
    Ich runzelte die Stirn. »Ach so«, sagte ich und über legte, wie ich ausdrücken sollte, was ich ihm sagen wollte. »Fürchtest du denn nicht …«
    »Was soll ich fürchten?«
    Meine Gedanken wurden unterbrochen von einer Be wegung am Gartentor, die ich aus dem Augenwinkel wahr nahm. Jemand dort winkte und versuchte, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Aufgrund der Beleuchtung der Tanzfläche war schwer zu erkennen, was sich da hinten abspielte, und ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Kitty . Sie stand am Gartentor. War es abgeschlossen? Warum kam sie nicht herein? Sie wischte sich die Augen mit einem Taschentuch. Etwas stimmte nicht .
    Das Stück endete, und mehrere Paare kamen auf die Tanzfläche. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir den nächsten Tanz auslassen?«, fragte ich Gerard.
    Er lächelte verwirrt, doch dann nickte er, und ich rannte zum Gartentor. Kitty hockte in sich zusammengesunken auf dem Gehweg, den Kopf auf den Knien.
    »Kitty, was ist passiert?« Die Wimperntusche war auf ihren Wangen verlaufen, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet.
    »Du hältst mich bestimmt für eine ganz schlechte Freundin«, schluchzte sie und begrub ihr Gesicht wieder in den Händen.
    Ich strich ihr übers Haar und versuchte, ihre Frisur mithilfe ihrer Haarnadeln wieder zu richten, aber es war zwecklos. Ihre Locken waren so zerzaust wie noch nie. »Was für ein Unsinn«, widersprach ich ihr. »Was ist passiert? Erzähl’s mir!«
    »Es tut mir so leid, dass ich dich versetzt habe, Anne«, schniefte sie. »Du musst mich für eine treulose Freundin halten. Und du hast recht, denn das bin ich auch. Ich bin eine erbärmliche, treulose Freundin.« Wieder begann sie zu schluchzen, und ich zog ein Taschentuch unter meiner Schärpe hervor und reichte es ihr.
    »Du bist keine treulose Freundin«, sagte ich. »Du bist meine allerbeste Freundin.«
    Kitty schneuzte sich, dann schaute sie mich mit tieftraurigen Augen an. Aber in ihrem Blick lag auch eine Spur Verzweiflung. Plötzlich wurde mir klar, dass sie kurz davor stand, einen drastischen Schritt zu tun. Ich wandte mich ab.
    »Ich bin schon vor Stunden gekommen«, sagte sie. »Aber ich habe es einfach nicht fertiggebracht reinzugehen.«
    »Warum denn nicht?«
    Sie putzte sich noch einmal die Nase. »Weil ich es nicht ertragen kann, mich von dir zu verabschieden«, sagte sie.
    »Aber ich gehe doch nicht fort, Kitty.«
    »Doch«, sagte sie. »Das ist es ja gerade. Du heiratest. Dein Leben wird sich ändern. Ich weiß, ich sollte mich für dich freuen, aber ich kann an nichts anderes denken, als dass ich dich verliere.«
    »Ach Kitty«, sagte ich. »Du wirst mich nie, niemals verlieren!«
    Sie nickte. »Doch. Und so muss es sein. Ich hab mich nur noch nicht daran
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