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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir
Autoren: S Jio
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Liebes«, sagte ich leise. Ich betrachtete die Statue und dann noch einmal das Gemälde. »Was für ein Geschenk.«
    Jennifer warf einen Blick auf das Gebäude. »Grandma«, sagte sie. »Bist du bereit?«
    »Bereit wozu?«
    »Ihm zu begegnen.«
    Mir schlug das Herz bis zum Hals. »Aber du hast doch gesagt, dass er …«
    »Tot ist?« Sie schüttelte den Kopf. »Ja, Grayson Hodge, ein neunzigjähriger Mann aus Barkley, Utah, ist tot. Aber nicht Westry Green.«
    Westry? Hier? Konnte es wahr sein?
    »Ich weiß nicht«, sagte ich und kämpfte mit den Tränen. »Aber was ist mit deinem Projekt?«
    Jennifer lächelte. »Ein voller Erfolg.«
    Ich war total verwirrt. »Solange ich denken kann, träume ich von diesem Tag, und jetzt …«
    »Hast du Angst?«
    »Ja«, murmelte ich und glättete mein schütteres Haar. Warum hatte ich kein Kleid angezogen? Und ein bisschen Lippenstift aufgelegt?
    Jennifer spürte meine Verunsicherung und schüttelte den Kopf. »Westry wird nur sehen, was ich sehe: deine innere Schönheit.«
    Sie reichte mir ein Taschentuch, damit ich meine Tränen trocknen konnte. »Warte hier. Ich gehe nach vorne und sage ihm, dass wir so weit sind.«
    »Soll das heißen, er ist schon hier?«
    »Ja«, antwortete sie mit einem stolzen Lächeln. »Sein Sohn hat ihn heute Morgen hergebracht. Sie sind aus New York gekommen.«
    Jennifer stand auf und lief um die Ecke des Gebäu des. Ich betrachtete noch einmal die Skulptur, die Augen des Mannes. Selbst in Bronze gegossen sahen sie aus wie Westrys. Wie oft war ich über diesen Campus ge gangen … Wenn ich nur ein einziges Mal hinter dem Gebäude entlanggegangen wäre, dann hätte ich vielleicht die Hinweise gefunden, die Westry mir in den Weg gelegt hatte.
    Ich hörte Schritte auf dem Kiesweg hinter mir und drehte mich um. Ein Mann bog um die Ecke, und ein paar Spatzen flogen auf. Selbst im Rollstuhl wirkte er vertraut – seine Miene, sein ausgeprägtes Kinn. Als unsere Blicke sich begegneten, schickte er den Mann, der seinen Rollstuhl schob, weg und griff mit einer Kraft in die Räder, die nicht zu seinen weißen Haaren und seinem runzligen Gesicht zu passen schien.
    Er hielt vor meiner Bank an und nahm meine eiskalten Hände in seine. »Hallo, Cleo«, sagte er und streichelte mir die Wange.
    »Hallo, Grayson«, sagte ich mit Tränen in den Augen.
    »Du kommst ziemlich spät, mein Liebling«, sagte er mit demselben schelmischen Lächeln, das mir so gefallen hatte, als wir uns kennengelernt hatten.
    Ich schaute ihn an. »Wie kannst du mir je verzeihen? Dass ich nichts mitbekommen habe, dass ich nicht nachgesehen habe. Ich war so …«
    Westry legte mir einen Finger auf die Lippen und lächelte mich auf eine Weise an, die mich sofort beruhigte. »Nur ein bisschen spät«, sagte er zärtlich, »aber nicht zu spät.« Plötzlich fühlte ich mich wieder wie ein junges Mädchen. Das Alter und die Zeit existierten nicht mehr.
    Er knöpfte sein braunes Cordsakko zu, zog die Bremsen an seinem Rollstuhl, rutschte nach vorn und kam mit einem Schwung auf die Füße.
    Ich schaute ihn entgeistert an. »Aber ich dachte …«
    Er grinste. »Dass du gern einen Herbstspaziergang machen würdest?« Er zog einen grauen Gehstock aus einer Halterung an seinem Rollstuhl, stützte sich mit der linken Hand darauf und reichte mir die rechte. »Kommst du mit?«
    »Ja«, erwiderte ich beglückt. Er war so groß, so selbstsicher. Ich klemmte mir das Gemälde unter den Arm, dann nahm ich seine Hand.
    Wir spazierten los, ohne zu wissen, wohin. Aber das spielte auch keine Rolle. Unsere Geschichte hatte ein Ende gefunden, das mir gefiel. Ich liebte Westry, und er liebte mich, und wir würden uns bis an unser Lebensende lieben. Der Wind auf Bora-Bora würde unsere Geschich te erzählen, wenn er durch die Baumkronen ging, die verwitterten Überreste der Hütte würden ihre stummen Zeugen bleiben, und sie würde für immer in meinem Herzen weiterleben.
    Westry war zu mir zurückgekommen. Der Fluch war gebrochen. Arm in Arm gingen wir langsam den Weg entlang. Ich schmiegte mich an ihn und legte meinen Arm um seine Taille. Zwei dunkelrote Blätter fielen von einem Baum, tanzten eine Weile im Herbstwind und landeten sanft auf dem Boden, wo sie nebeneinander liegen blieben.

Danksagung
    Von ganzem Herzen danke ich meiner Agentin Elisabeth Weed dafür, dass sie mir bei meinem neuen Buch mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Es ist mir eine Freude und eine Ehre, mit ihr zusammenzuarbeiten. Ich danke
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