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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir
Autoren: S Jio
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kommt es mir so vor, als hättet ihr noch vor ein paar Wochen hier draußen mit euren Puppen gespielt.«
    Wenn ich ehrlich war, vermisste ich die sorglosen Zeiten, die wir mit Puppenspielen und Verkleiden im Garten verbracht hatten. Ich knöpfte mir gegen den kühler gewordenen Wind die Strickjacke zu – den Wind der Veränderung.
    »Komm, lass uns ins Haus gehen«, sagte ich und nahm Kittys Hand.
    »Okay«, erwiderte sie. Und plötzlich waren wir wieder kleine Mädchen.
    Mir brannten die Augen von dem Zigarettenqualm, der wie eine düstere Wolke über unserem Tisch hing. Die Beleuchtung war schummrig im Cabaña Club, wo die Jugend von Seattle samstags zum Tanzen hinging. Ich kniff die Augen zusammen.
    Kitty schob eine in blaues Papier gewickelte Schachtel zu mir herüber. Sie war mit goldenem Geschenkband verschnürt.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Für dich«, sagte sie grinsend.
    Ich schaute sie fragend an, dann löste ich das goldene Band und wickelte das blaue Papier ab. Ich hob den Deckel von der weißen Schmuckschachtel und nahm die Watte heraus, unter der etwas Glitzerndes zum Vorschein kam.
    »Kitty!«
    »Es ist eine Brosche«, sagte sie, »eine Freundschaftsbrosche. Erinnerst du dich noch an die Freundschaftsringe, die wir als Kinder hatten?«
    Ich nickte. Ich wusste nicht, ob das Brennen in meinen Augen vom Rauch herrührte oder von den Erinnerungen an glückliche Tage.
    »Ich finde, wir brauchen etwas, das besser zu Erwachsenen passt«, sagte sie und schob sich eine Haarsträhne von der Schulter, sodass ich die Brosche an ihrem Kleid sehen konnte. »Siehst du? Ich hab auch eine.«
    Ich betrachtete die silberne Scheibe mit einer Rose aus winzigen blauen Steinen, die im gedämpften Licht des Clubs glitzerten. Auf der Rückseite befand sich eine Gravur: Für Anne, in Liebe, Kitty .
    »Sie ist wunderschön«, sagte ich und steckte sie mir ans Kleid.
    Kitty lächelte. »Sie soll ein Symbol unserer Freundschaft sein und uns daran erinnern, dass wir nie Geheimnisse voreinander haben und nicht zulassen werden, dass die Zeit oder die Umstände etwas zwischen uns ändern.«
    Ich nickte. »Ich werde sie immer tragen.«
    Sie lächelte. »Ich auch.«
    Wir nippten an unserem Sodawasser und ließen den Blick durch den vollen Club wandern, wo unsere Freunde, Schulkameraden und Bekannten ausgelassen einen Samstagabend begingen, der womöglich ihr letzter war, ehe das Schicksal sie in alle Winde zerstreute, in den Krieg führte, in die Ehe, ins Unbekannte. Ich schluckte schwer.
    »Sieh dir Ethel und David Barton an«, flüsterte Kitty mir ins Ohr und zeigte unauffällig auf die beiden, die eng umschlungen am Tresen saßen. »Er kann seine Finger gar nicht bei sich behalten«, sagte sie und schaute ein bisschen länger als nötig hin.
    »Sie sollte sich was schämen«, sagte ich kopfschüttelnd. »Wo sie doch mit Henry verlobt ist. Er studiert irgendwo, oder?«
    Kitty nickte. Aber anstatt wie ich den Kopf zu schütteln, konnte sie sich gar nicht vom Anblick des Pärchens losreißen. »Wünschst du dir nicht, jemand würde dich so sehr lieben?«, fragte sie sehnsüchtig.
    Ich zog die Nase kraus. »Das ist doch keine Liebe.«
    »Klar ist das Liebe«, widersprach Kitty und stützte das Kinn in die Hand. Die beiden standen von ihren Barhockern auf und gingen Hand in Hand auf die Tanzfläche. »David ist ganz vernarrt in sie.«
    »Vernarrt vielleicht«, sagte ich. »Aber lieben tut er sie nicht.«
    Kitty zuckte die Schultern. »Auf jeden Fall ist es Leidenschaft.«
    Ich nahm meinen Gesichtspuder aus der Handtasche und puderte mir die Nase. Gerard würde bald da sein. »Leidenschaft ist was für Narren«, sagte ich und klappte das Döschen zu.
    »Kann sein«, erwiderte Kitty. »Aber davon werde ich mich nicht abschrecken lassen.«
    »Kitty!«
    »Ja?«
    »So darfst du nicht reden!«
    »Wie darf ich nicht reden?«
    »Wie ein Flittchen.«
    Kitty kicherte. In dem Augenblick kam Gerard an unseren Tisch, zusammen mit Max, einem Kollegen aus der Bank – ziemlich klein, mit lockigem Haar, einem unscheinbaren Gesicht und Augen nur für Kitty.
    »Lass uns mitlachen, Kitty«, sagte Gerard grinsend. Ich mochte sein charmantes, selbstbewusstes Lächeln. Er stand in seinem grauen Anzug an unserem Tisch und rückte sich eine Manschette zurecht. Max stand neben ihm und machte Stielaugen.
    »Sag du’s ihm, Anne.« Kitty knuffte mich in die Rippen.
    Ich räusperte mich verlegen. »Na ja, also, Kitty meinte eben, sie und Max würden ein
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