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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance
Autoren: Karin Alvtegen
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ertragen. Jetzt waren sie also wieder so weit. Sie versuchte wirklich, ihre Tochter zu erreichen, aber Emelie glitt ihr durch die Finger wie ein vorwurfsvoller Schatten, dem sie vergeblich hinterherjagte, durch die Zimmer, in denen sie selbst herumhastete, um alles aufrechtzuerhalten. Es war nicht nur das Alltägliche. Die Häuser waren alt und mussten instand gehalten werden, aber sie schaffte nur das Nötigste.
    Nichts war richtig fertig gewesen, als Martin sie verlassen hatte. Während der letzten Jahre hatten sie ein bisschen was hier und da gemacht, in dem idiotischen Glauben, es würde schneller gehen, wenn alles gleichzeitig erledigt wurde. In der Scheune waren nur fünf der geplanten Hotelzimmer fertig geworden. In den übrigen warteten eingeschweißte Holzdielen entlang kahler Rigipsplattenwände. Leisten stapelten sich in der Vorratskammer, und die Farbe für die Wände, die ungestrichen blieben, war in den Dosen bereits eingetrocknet. Spachtel, Holztäfelungen, Heizkörper und Kacheln – ein Vorrat an erloschenem Enthusiasmus. Einst das Rohmaterial für ihre gemeinsame Vision, obwohl er plötzlich das Gegenteil behauptet hatte, als er die Bombe platzen ließ.
    An diesem Tag hatte er so getan, als wäre es nur ihr Traum gewesen. Für sie war der Umzug nach Norrland eine Heimkehr, für ihn eine Abkehr von allem, was er hatte. Die Menge an vollendeten Erinnerungen, die sie schon in die Holzdielen des Hauses hineingetreten hatte, bevor sie gemeinsam gekommen waren, hatte einen gemeinsamen Neuanfang unmöglich gemacht. Sie war vorgelaufen und hatte gezeigt, er war ihr nachgeeilt und hatte versucht eine Ecke zu finden, in der auch seine Visionen Platz fanden. Und in den Jahren, die vergangen waren, hatte sie ihm nie zugehört, wenn er ihr gesagt hatte, dass er unzufrieden sei und wieder heim nach Stockholm ziehen wollte.
    Das hatte er zumindest so behauptet, als alles schon zu spät war.
    Sorgfältig hatte er sich seine jämmerliche Verteidigung zurechtgelegt, um sein wahres Motiv zu verbergen. Die Schlange hatte Helena selbst in ihr Haus geladen, als sie die Marketingidee gehabt hatte, Forschern und Doktoranden ein Naturalstipendium zu bieten. Vier Wochen lang hatte ihre erste Stipendiatin diesen Vorzug genossen. Helena hatte alles gegeben, um den Aufenthalt für sie so besonders wie möglich zu machen. In einem mit Farben bekleckerten Blaumann war sie herumgeeilt und hatte frische Blumen und einen Obstkorb in das Zimmer gestellt und auf Wunsch vegetarische Mahlzeiten serviert, während der Gratisgast es sich in einem der Liegestühle des Gartens bequem gemacht hatte, tief in ein Buch versunken, zerstreut eine widerspenstige Haarsträhne um einen Finger wickelnd. Als sie endlich abgereist war, hatte Helena erfahren, dass auch ihr Mann zu den Naturalvergünstigungen gehört hatte. Ihre Existenz war mit einem Mal zerstört worden, und die Zukunft, mit der sie gerechnet hatte, hatte aufgehört zu existieren.
    Emelies Badezimmertür blieb geschlossen, es war ganz still. Ein deutliches Zeichen dafür, dass das Gespräch beendet war. Zurück blieb nur das stechende Gefühl der Ungerechtigkeit. Nicht sie hatte sich entschlossen zu gehen, und trotzdem wurde sie zur Zielscheibe von Emelies Enttäuschung. Martin dagegen hatte sich sicher in Stockholm verschanzt. Er und die Neue wohnten in dem Viertel, das sie selbst mit dem Umzug nach Norrland verlassen hatten.
    Sie ging in ihr Badezimmer. Die Kälte schlug ihr entgegen, als sie die Tür öffnete, sie hatte vergessen, hinaufzugehen und den Heizlüfter anzuschalten. Der Heizkörper war kaputt, und es war nie Zeit gewesen, einen neuen zu installieren. In den Winternächten hatte sie gefroren. Trotz Pyjama und doppelter Daunendecke – die Kälte schien von innen zu kommen. Diejenige, für die sie sich gehalten hatte, war nicht mehr da, und die Leere war eisig kalt. Sie hatte Martin als ihren engsten Freund betrachtet und war stolz gewesen auf ihre zielstrebige Arbeit. Wenn es Widerstände gab, hatte sie von dem Tag geträumt, an dem das Hotel fertig wäre, die Gäste hereinströmten und sie sich endlich Ferien gönnen könnten.
    Gott, wie dumm sie gewesen war.
    Sie setzte sich auf das Bett. Ihr Schlafzimmer war unverändert. Er hatte nur seine Kleider und Bücher mitgenommen und ihr die gemeinsamen Dinge hinterlassen. Aus Rücksicht, hatte er behauptet.
    Denn er wollte ihr ja nicht wehtun.
    Diese Behauptung war ein Hohn, da er ihr alles genommen hatte, was ihr etwas
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