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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance
Autoren: Karin Alvtegen
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einschlagen sollte, stand er still und stampfte auf einen Boden, der im Begriff war nachzugeben. Unter sich ahnte er einen Abgrund.
    Er war gezwungen, sich einzugestehen, dass die Träume in strahlenderen Farben geleuchtet hatten, als ihm noch die Zeit gefehlt hatte, sie zu verwirklichen. Er war ohne Verlangen und gleichgültig gegenüber der Zukunft. Die Tage verflossen in dem Gefühl, dass er langsam versank.
    Eines Tages traf er einen seiner Nachbarn im Treppenhaus, und getreu seiner Gewohnheit, die Menschen in seiner Umgebung auf Abstand zu halten, hatte Anders nicht vor, für ein Schwätzchen stehen zu bleiben. Der Mann war Pensionär und der Einzige gewesen, der sich über den Lärm gewundert hatte, als Anders’ Sicherheitstüren installiert worden waren. Der Nachbar kannte seine Sammlerleidenschaft und wollte ihm berichten, was er kürzlich auf einer Norrlandreise erlebt hatte. Ziemlich uninteressiert hörte Anders zu, wie er von dem außergewöhnlichen Mann berichtete, den er im Wald getroffen hatte. Davon, wie er zum Kaffee eingeladen worden war und dass das Häuschen so vollgestopft mit Kram gewesen sei, dass man kaum hereinkam. Mittlerweile hatte Anders abgeschaltet, aber plötzlich schnappte er ein paar Worte auf, die seine Aufmerksamkeit erregten.
    »Er hatte sie unter dem Bett. Er sagte, er hätte sie Anfang der siebziger Jahre beim Pokern in einer Bar in San Diego gewonnen. Er hätte sie als eine Erinnerung behalten, da es eine der alten Gitarren der Beatles sei. Er behauptete, sie hieße Lucy. Ich habe gedacht, das sei vielleicht etwas für Sie, wo Sie doch alte Sachen sammeln.«
    »Wissen Sie, was für eine Marke das war?«
    »Eine rote Gibson. Ich habe früher ein bisschen Gitarre gespielt, und man träumte ja immer davon, so eine zu besitzen.«
    I look at the world and I notice it’s turning
While my guitar gently weeps
    Das siebte Stück auf der ersten Seite des weißen Doppelalbums der Beatles. Ein Spektrum von Gefühlen kündigte sich an, als sei er mit einer dunklen Schicht unter der Vernunft in Kontakt gekommen.
    Er ging direkt zu seinem Computer. Was er gehört hatte, ließ sich leicht als Lügengeschichte abtun, nachdem er ein paar Suchbegriffe eingegeben hatte und im Netz herumklickte, nahm sein Herzklopfen immer mehr zu. Nichts, was er fand, widersprach der Geschichte. Wenn das, was der Nachbar behauptete, sich als wahr erweisen sollte, war es nichts weniger als eine Sensation. Trotzdem begann er, sich unbehaglich zu fühlen. Der Sammler in ihm begann natürlich zu jubeln, doch etwas anderes in ihm wehrte sich dagegen und wollte all das vergessen.
    Es gab eine Zeit, da hatte er alles über Lucy gelernt. Die Gitarre war eine cherryred Gibson Les Paul von 1957, Eric Clapton hatte auf ihr While my guitar gently weeps gespielt, als George Harrison ihn darum gebeten hatte. Nach der Aufnahme hatte er Harrison die Gitarre geschenkt. 1973 wurde sie dann in Beverly Hills gestohlen und war vermutlich in Mexiko verschwunden. Anders brauchte keine Karte, um sich zu vergewissern, dass San Diego auf dem Weg des Diebs lag.
    Vielleicht war sie jetzt in Reichweite, nur ein paar Stunden Autofahrt entfernt.
    Der Gedanke war schwindelerregend.
    Während der Preis für Kunst und Antiquitäten der allgemeinen Konjunktur gefolgt war, hatte der Wert der Vintagegitarren enorm zugenommen. Sie waren heutzutage begehrte Investitionsobjekte für Männer mit grauen Schläfen und angehäuften Reichtümern, die zu jedem Preis die Symbole für ihren niemals verwirklichten Kindheitstraum zurückkaufen wollten.
    Auch wenn sie nicht mehr spielen konnten.
    War die Gitarre berühmt, konnte man den Preis nur erahnen. Als Eric Claptons Blackie auf einer Auktion verkauft worden war, war der Zuschlag bei 7,7 Millionen Kronen erfolgt. Wenn das Gerücht sich verbreitete, wo Lucy sich befinden könnte, würde das Häuschen des Sonderlings belagert werden.
    Anders hatte Gitarren in seiner Sammlung gemieden, aber jetzt wurde ein Teil von ihm wie von einem Magneten Richtung Norrland gezogen.
    Ein anderer Teil wollte, dass der Staub, der aufgewühlt worden war, sich wieder legte.
    In dieser Verwirrung vergingen die nächsten Tage. In ihm wuchs eine vage Sehnsucht. Sie war nicht in Worte zu fassen und nicht in den Griff zu bekommen, sie galt keinem Ort, keinem Menschen. Er wollte weg von dem, was war, und die Verwirrung hinter sich lassen. Er wollte dastehen und zurückschauen, wenn alles in einen klaren Zusammenhang gebracht worden
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