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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance
Autoren: Karin Alvtegen
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war.
    Jeden Morgen, wenn er widerwillig aufwachte, eilten seine Gedanken zu Lucy. Dass sie sich vielleicht da oben in Norrland befand, kam einer Hoffnung gleich. Aus Angst, seinen Strohhalm zu verlieren, schob er seine Reise absichtlich auf. Und jeden Tag schrieb er mit zitternden Fingern »Lucy« in das Suchfenster bei Google, ängstlich, jemand könnte ihm zuvorgekommen sein.
    Zwiespältig war er schließlich losgefahren und hatte es bis nach Sundsvall geschafft.

Kapitel 4
    Helena hörte, wie die Badezimmertür geöffnet wurde und der Holzboden der Diele unter Emelies Füßen knarrte. Sie stand auf, kam aber nur bis zum Schlafzimmerfenster. Das Haus war umgeben von der schwärzesten Nacht, nicht einmal der Mond war am Himmel zu sehen. Zwei Autoscheinwerfer schwenkten draußen auf der Straße vorbei. Sie sah den Lichtern nach und fragte sich, welches Ziel das Auto hatte, ob jemand am Ende der Reise wartete.
    Sie änderte den Fokus und ahnte ihre eigene Silhouette im Fensterglas. Genauso vage und konturlos, wie sie sich selbst empfand.
    Die beiden größten Funktionen, die sie in ihrem Leben ausgefüllt hatte, waren überflüssig geworden. Martin war gegangen, und die Versuche ihrer Tochter, sich zu befreien, waren überdeutlich. Sie wurde weder gebraucht, noch war sie erwünscht. Zurück blieb nur ein einziges kleines Trümmerstück von ihr, das sich nur dadurch am Leben hielt, dass das Hotel weiterbetrieben werden musste. Der Rest gehörte einer Fremden.
    Eine alleinstehende Mutter eines Scheidungskinds.
    Diese Identität war so weit von ihren Vorsätzen entfernt, dass der Abstand sie schwindeln ließ. Trotzdem war es das, was sie war, der Rest war nur Leere. Wie konnten also die Konturen etwas haben, woran sie Halt fanden? Sie dachte an den Tag, an dem es geschehen war.
    »Setz dich zu mir, Helena, wir müssen uns ein wenig unterhalten, du und ich.«
    Mit diesen alltäglichen Worten fängt es an. Trotzdem weiß sie sofort, dass sich etwas Bedrohliches nähert. Es ist, als sei die Luft im Raum mit Vorahnungen aufgeladen, ein Gürtel zieht sich um ihren Brustkorb zusammen.
    Er hat noch den Blaumann an und wird bald in den Stall hinausgehen und streichen. Sie ist mit einer Einkaufsliste vorbeigehastet, auf dem Weg zum Auto, um zu einem Farbenladen zu fahren.
    Ein scheinbar gewöhnlicher Tag.
    Das, was noch nicht gesagt worden ist, zittert in einem letzten Augenblick der Zuversicht.
    Danach kann sie sich schwer daran erinnern, was eigentlich gesagt wurde. Er hat vom Ende eines Tunnels gesprochen, eine Wirklichkeit beschrieben, von der sie nicht wusste, dass es sie gab. Sie will diese Wirklichkeit nicht akzeptieren, denn wenn sie zugibt, dass sie wahr ist, verliert das Dasein seine Richtung.
    Sie steht auf und geht hinaus zum Auto. In dem Farbenladen hakt sie sorgfältig ihre Einkaufsliste ab. Mit geübten Bewegungen nimmt sie Dinge aus den Regalen und legt sie in den Wagen, wechselt alltägliche Worte mit der Frau an der Kasse und tankt das Auto auf dem Heimweg. Die gewöhnliche Wirklichkeit scheint intakt.
    In den folgenden Nächten schläft sie schlecht, sie hat einen Druck auf der Brust. Tagsüber versucht sie, sich normal zu verhalten. Martin wirkt traurig und will weiterreden, aber sie hat so viel anderes zu tun. Dafür sorgen, dass die Gäste ihr Frühstück bekommen, Zimmer aufräumen und Betten machen, abends das Essen kochen.
    Das Dasein aufrechterhalten.
    Er folgt ihr durch die Zimmer, auf der Jagd nach einer Fortsetzung des Gesprächs. Sie eilt weiter und sorgt dafür, dass es nicht dazu kommt. Am dritten Tag gibt er auf und beginnt zu packen. Sie sieht seine Kleider aus den Schränken verschwinden, in Taschen und Umzugskartons. Im Regal klaffen Löcher von seinen Büchern und CD s. Alles andere lässt er zurück. Manchmal fragt er etwas, aber sie zuckt nur mit den Achseln. Ihr ist schwindlig von den schlaflosen Nächten. Die Gedanken streben in verschiedene Richtungen, ihr fällt es schwer, den Überblick zu behalten.
    Obwohl er niedergeschmettert wirkt, ahnt sie einen verhaltenen Eifer in seinen Bewegungen. Eine schwer zu verbergende Erwartung. Er ist unterwegs. Sie wird zurückbleiben. Allein, in dem Alten.
    Am sechsten Tag gelingt es ihr nicht mehr, sich dem Ganzen zu versperren. Sie hört zufällig ein Telefongespräch. Was er gesagt hat, wird plötzlich zur Wirklichkeit, denn der Ton, den sie hört, war früher nur für sie bestimmt. Ihr ganzer Körper schmerzt mit einem Mal. Der Schrecken macht sie
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