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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance
Autoren: Karin Alvtegen
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das Schönste, was die Erde zu bieten hatte. Aber schließlich wurde auch die großartigste Aussicht eintönig. Die Reise war für ein Jahr geplant, nach sieben Monaten kehrte er nach Hause zurück. Dann entschloss er sich umzuziehen. Eines der Häuser, die er besaß, lag in Gamla Stan, und dort ließ er eine Etagenwohnung im Dachboden und dem obersten Geschoss ausbauen. Die leeren Seiten in seinem Kalender füllten sich mit Terminen mit Architekten und Innenausstattern.
    Er hatte Gamla Stan schon immer gemocht. Er fand es erholsam, durch die Gassen zu schlendern, auf Kopfsteinpflaster, auf dem man schon seit Hunderten von Jahren gegangen war. All diese Menschenleben, deren Schicksale wie mit Fäden verbunden waren. Er fand den ununterbrochenen Fluss beruhigend. Ein vages Gefühl der Unsterblichkeit. Doch zugleich bereiteten ihm diese Gedanken Sorge. Sie waren neu und ungewohnt und schienen aus einer tückischen Region seines Gehirns zu kommen, die sich noch nie zuvor bemerkbar gemacht hatte.
    Die Renovierung der Wohnung brauchte ihre Zeit, und wenn sie fertig wäre, so hatte er es sich vorgestellt, würde er damit anfangen, sein Leben zu genießen. An der Wohnung war dann auch nichts auszusetzen, das war ihm klar, trotzdem trieb es ihn rastlos zwischen den Räumen umher. Und mit jedem Morgen wurde ihm der Mann, der ihm aus dem Badezimmerspiegel entgegenblickte, immer fremder. Ein Mann mit denselben Gesichtszügen, die er gehabt hatte, als er unentbehrlich von Termin zu Termin gehetzt war. Ein Chef, der respektiert wurde, und ein begehrtes Vorstandsmitglied, dessen Geschick sich durch den Quartalsbericht bestätigte. Doch nun rief niemand mehr an und brauchte seinen Rat oder musste sich seinen Entscheidungen beugen. Widerwillig gestand er sich ein, dass er jenseits der festen Rolle in seinem Beruf verloren war.
    Doch im letzten Moment tat sich doch noch etwas Neues auf. Ein Bekannter bat ihn, zu einer Sammlerauktion mitzukommen. Um 368 000 Kronen ärmer, mit einer beschädigten Taschenuhr der Marke Waltham und einer neuen Leidenschaft in seinem Leben kehrte er zurück. Eine Ironie des Schicksals für Carl Asplund, der am 19. April 1912 an Bord der Titanic gegangen war, mit seiner Frau, vier Kindern und Fahrkarten für die dritte Klasse. Zwölf Tage nach dem Untergang des Schiffs hatte man Carls leblosen Körper gefunden. Seine einfache Taschenuhr hatte die Sekunde verewigt, in der er und drei seiner Kinder in die Tiefe gezogen worden waren.
    Eine Rarität für die Sammler dieser Welt.
    Der Auktionsfund bewegte etwas in ihm, ein neues Projekt tat sich auf. Die Jagd auf neue Kleinodien wurde erfolgreich, da nur sein eigenes Desinteresse ihn von einem Kauf abhielt. Die Sammlung wuchs rasch und nahm mittlerweile drei der Zimmer seiner Wohnung ein.
    Aber es war nicht das Kunstwerk des Meisters, das verlockend war, sondern der Pinsel, der in den Fingern des Malers geruht hatte, und die Palette, die seine Farbe getragen hatte. Keine Erstausgaben bekannter Romane, sondern der Stift, der den Gedanken verewigt hatte. Der Stuhl, der das Gewicht des Schriftstellers getragen hatte, und der Brief, der an eine Geliebte geschrieben worden war. Schlüssel, die zu berüchtigten Türen passten, eine Uhr vom Arm des Genies, die Tagebücher von Berühmtheiten, gefüllt von Gedanken, die Utensilien und Kleider von Legenden. Dinge, die Spuren von verflogenen Zeiten trugen und den Flügelschlag der Geschichte erlebt hatten.
    Seine Sammlung wurde zu einem Zufluchtsort. Umgeben von den Scherben anderer Leben färbte ein wenig davon auf sein eigenes ab. Er empfand eine schwer erklärbare Sicherheit unter den toten Dingen, welche diejenigen hinterlassen hatten, die vorangegangen waren. Das Versprechen des Vergangenen, dass, was auch geschah, die Zeit immer weitergehen würde. Der Gruß der Toten an die Lebenden – auch eure Kümmernisse werden eines Tages vorüber sein, und niemand wird sich an ihr Gewicht erinnern.
    Sein Haus war mit Sicherheitstüren ausgestattet, und die Sammlung wurde derzeit auf 390 Millionen Kronen geschätzt.
    Aber wie alles in seinem Leben hatte auch diese Leidenschaft ein Verfallsdatum. Immer weniger Gegenstände versetzten seine Gefühle in Aufruhr, er machte halbherzige Angebote, die manchmal klappten, ihm aber eigentlich egal waren. Die Rastlosigkeit war mit einem Jucken an Stellen vergleichbar, an die die Finger nicht herankamen. Das Leben verlangte nach einer neuen Herausforderung, aber ratlos, welche Richtung er
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