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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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Prolog
Auf dem Land in der Nähe von Knin Republik Serbische Krajina, 7. August 1995
    An dem Tag, an dem das offizielle kroatische Heer Knin zurückeroberte und die
Operation Sturm
die Republik Serbische Krajina hinwegfegte, an diesem Tag erschoss der Kommandant vier seiner besten Männer. Während seine und Pilićs Bande die versprengten bewaffneten Serben verfolgten, die sich den Truppen Franjo Tudjmans nicht ergeben wollten, hatten sie sich in den Hügeln rund um die Stadt aus den Augen verloren. Der verzweifelte Widerstand der Serben flößte dem Kommandanten Bewunderung ein. Auch wenn er aufgrund der komplizierten Umstände gezwungen gewesen war, sich auf die Seite Zagrebs zu schlagen, galten seine Sympathien diesen Kämpfern, die gleichzeitig unbarmherzig und loyal waren und im Grunde nur ihr Leben verteidigten. Pech für sie, dass die weit gestreuten Interessen des Kommandanten in diesem Augenblick keine Kollaboration mit den Serben aus der Krajina zuließen: sonst hätte sich die Geschichte ganz anders entwickelt.
    Aber nicht aus politischem Kalkül oder gar aufgrund einer humanitären Regung hatte sich der Kommandant vier fähiger Männer entledigt. Seit vier Jahren tobte auf dem Balkan ein erbarmungsloser Krieg. Und weil es im Krieg darum geht, dem Feind überlegen zu sein, sind Vergewaltigungen, Massendeportationen, Blutbäder und über das Ziel hinausschießende Grausamkeiten, der Soldaten aus allen Lagern frönen, legitime militärisches Mittel. Wenige Wochen davor hatten die Serben unter General Mladić Tausende Frauen und Männer massakriert, nur weil sie Muslime waren. Gewisse Exzesse sind im Krieg nicht nur unvermeidlich, sondern sogar nützlich. Man muss nur begreifen, wann es an der Zeit ist aufzuhören.
    Der Kommandant hatte sich zu einer derart extremen Geste gezwungen gesehen, weil er die Notwendigkeit verspürte, eine Grenze zwischen Soldat und Mörder, zwischen Kämpfer und Söldner zu ziehen: Kein Kommandant trennt sich leichten Herzens von den Jungs, mit denen er den herben Geruch der Schlacht und Todesgefahr geteilt hat. Auch wenn ein Soldat keinem offiziellen Heer angehört, auch wenn er keine Uniform trägt, fügt er sich widerspruchslos den Befehlen. Der Mörder, der Söldner verkörpert den anarchischen Aspekt des Krieges. Eine gewisse Nützlichkeit kann man ihm nicht absprechen. Aber wenn er beginnt in eigener Sache zu arbeiten und das große Ganze zu vernachlässigen, muss er unweigerlich bestraft werden.
    Der Kommandant hatte seine vier Männer – die Brüder Dorin, italienische Faschisten aus Mali Lošinj, Mate und Carlo, Ustascha aus Sisak – in einer Höhle auf dem Weg nach Graćac gefunden. Einer von Pilićs Jungs hatte sich ihnen angeschlossen, ein versprengter Söldner, der immer besoffen war. An der Brutalität, mit der sie über das Mädchen hergefallen waren – den zarten Zügen und der verschreckten Schönheit nach zu schließen eine Serbin –, war nichts, was man rechtfertigen konnte, nichts Militärisches. Man hatte die Schlacht gewonnen. Das Gejammer der Pazifisten und der humanitären Organisationen würde bald zu einem ohrenbetäubenden Chor anschwellen. Weitere Grausamkeiten waren unangebracht, sofern sie nicht von einer konkreten und unmittelbaren Notwendigkeit diktiert wurden. So war es noch immer sinnvoll, Männer von Frauen zu trennen, oder aus Rache für die erlittenen Verluste, die Feinde zu erschießen, die man mit der Waffe in der Hand überraschte. Ein kleines Mädchen zu vergewaltigen, war jedoch nicht nur eine überflüssige, sondern mit Blick auf die Zukunft auch eine kontraproduktive Geste.
    Der Kommandant befahl ihnen, Haltung anzunehmen. Die Männer würdigten ihn keines Blickes.
    – Hört auf oder ich bringe euch um!
    Nach wie vor ignorierten die Männer den Befehl. Einer der beiden Italiener lachte und forderte ihn auf, mitzumachen. Der Kommandant legte das Maschinengewehr an und machte sie kalt, einen nach dem anderen. Dann ging er in die Höhle. Ekelerregender Geruch empfing ihn. Nach Blut, Staub, Sperma und Verwesung. Ein paar Schritte von dem Mädchen entfernt, lag die Leiche eines Zivilisten. Den Arm noch nach ihr ausgestreckt, als wolle er sie beschützen. Der Vater vielleicht oder ein Verwandter. Oder vielleicht nur irgendein unglücklicher Serbe. Mit einem Tritt stieß der Kommandant die Leiche des Ustaschas von dem Mädchen. Der Tod hatte einen verblüfften Ausdruck auf seinem Gesicht hinterlassen. Der Ustascha hatte nicht geglaubt, dass
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