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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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arbeitete der Imam bei einem Reifenhändler auf der Aurelia. Er war ein großer dicker Mann mit einem imposanten Hisbollah-Bart, einem rötlichen, durchaus nicht asketischen Gesicht. Je länger er predigte, desto lauter wurde seine Stimme, und die Empörung übertrug sich auf die Gemeinde, entzündete die Seelen, pflanzte ihnen schreckliche Absichten ein.
    – Es sind traurige Tage für die Gemeinde. Die Brüder werden bespitzelt und verfolgt. Bruder Mamoud ist verhaftet worden, er wird verdächtigt, ein Terrorist zu sein. Sicher wird er den amerikanischen Henkern ausgeliefert, sicher wird er gefoltert, vielleicht sogar getötet werden. Die Knechte Israels wollen uns vernichten, aber der Heilige Krieg wird sie vernichten.
    Bewegt hörte Hamid zu. Salah strengte sich gewaltig an, eine den Umständen entsprechende Miene aufzusetzen. Ein Jahr, ein Jahr noch lügen, dann würde er frei sein. Frei und reich für immer.
    Als der Imam die Faust gen Himmel reckte, erfüllte ein mächtiger, bedrohlicher Schrei die Moschee: „Dschihad! Dschihad!“
    Der Junge wartete vor der Moschee auf sie. Er lehnte an einem großen Motorrad, rauchte eine Zigarette und fuhr sich mit der Hand durch das bereits schüttere Haar. Er hatte einen Bart, und auf seiner rechten Wange befanden sich die Reste einer alten Narbe. Die beiden Araber gaben ihm die Hand. Salah blickte den Jungen an und auf seinem Gesicht machte sich der Ausdruck demütiger Dankbarkeit breit.
    – Der Imam bedankt sich für alles, was ihr für uns machen werdet.
    – Kommt heute Abend in den Zirkel, antwortete der Junge. Es gibt eine Versammlung anlässlich von Mamouds Verhaftung. Wir überlegen, ob wir eine Demo organisieren sollen.

2.
    Als Guido Salah und Hamid vorstellte, begannen die Genossen des Argentovivo-Zirkels wild, herzlich, wütend Beifall zu klatschen. Ungefähr siebzig, achtzig Menschen befanden sich in dem Raum der alten aufgelassenen Fabrik an der Via Tiburtina. Hamid blickte sich wie betäubt um. Er sah lange Bärte, Rebellenbärte, Palästinensertücher, die um verschwitze Hälse geknotet waren, Mädchen, die in sackartigen Kitteln steckten, die ihre Formen verbargen. Mädchen, die auf ihrer Seite waren, jedoch keinen Schleier trugen. Was sollten sie mit ihnen im Falle des Sieges tun? Würden sie sich freiwillig dem Gesetz beugen oder würden sie sich wehren? Einen Augenblick lang dachte Hamid, dass alles ein großer Irrtum war. Die Jungs waren aus politischen Gründen hier, nicht um den wahren Glauben zu verteidigen. Im Westen waren die beiden Sphären noch getrennt. Sie hingegen waren schon weiter. Sie wussten, dass alles in Gott ist und dass außerhalb von ihm nichts ist, aber … Er suchte Salahs Blick. Er schien gerührt zu sein. Hamid fühlte sich getröstet. Salah wusste viele Dinge. Ohne Salah wäre er wahrscheinlich in dieser stinkenden Zelle verrottet. Salah war ins Herz des Westens vorgedrungen. Salah hatte die richtigen Kontakte. Eines Tages würde Salah zum Schwert greifen, und er würde an seiner Seite sein.
    – Genossen! Die augenblicklichen Vorfälle sind ein Indiz für die inzwischen nicht mehr zu reparierende Krise unserer Demokratie. Der Staat scheut nicht mehr davor zurück, einen Bürger gefangen zu nehmen und ihn einer fremden Macht auszuliefern. Wir können nicht hinnehmen, dass die amerikanischen Henker den Genossen Mamoud in einem Geheimgefängnis festhalten, ihn foltern und töten, ohne dass sich jemand gegen diese unglaubliche Verletzung der grundlegenden Menschenrechte zur Wehr setzt. Das alles passiert mit der Zustimmung der italienischen Richter und Polizisten, den Knechten und Speichelleckern der amerikanischen Henker und ihrer israelischen Komplizen, den Mördern des palästinensischen Volkes. Wir müssen etwas tun, Genossen! Die Amerikaner und ihre Knechte sollen sehen, dass es jemand gibt, der nicht akzeptiert, wie der Rechtsstaat mit Füßen getreten wird, und der heftig gegen die Staatsgewalt protestiert!
    Wieder tosender Applaus! Salah stimmte in den Beifall ein, wobei er die hochnäsige Schnute von einem aufsetzte, der nicht länger gewillt ist, die Übergriffe zu dulden. Er fragte sich, wie viele Spione außer ihm noch da waren. Vielleicht die Blondine, die wie wild klatschte und Guido ansah, als ob er ein Kinostar sei? Oder der Typ, der aussah wie ein in einen Arbeiteroverall gequetschter Bär, der bis vor wenigen Minuten noch ein Plakat mit der Aufschrift „Dealer raus aus San Lorenzo“ gemalt hatte? Oder der Typ
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