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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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dich um, hatte er geschrieen und sich auf sie gestürzt.
    Der Angriff hatte sie überrascht, und der kurze Augenblick des Zögerns hatte ihm ermöglicht, sie zu überwältigen. Sie hatten gekämpft. Als es ihm gelungen war, die Waffe auf ihre Brust zu richten … als er sie ihr hätte entreißen und weggehen können … und sie gehen lassen … hätte können … hatte ihn die neue Wut, die in seinem Inneren brodelte, angestachelt, den Abzug zu drücken. Anders gesagt, er hatte sie vorsätzlich getötet. Und er bereute nicht, es getan zu haben. Immerhin hatte sie ihm nicht mehr und nicht weniger als das Leben genommen.
    Die Tür zur Zelle ging auf. Der Baron und die Frau, die ihn für gewöhnlich begleitete, kamen herein. Mit herausforderndem Blick und sarkastischem Lächeln sagte Guido:
    – Ich bin bereit, zu Ihrem Lebenslänglich, Baron.
    Aber der Baron hatte keine Lust auf Spielchen. Und sein Gesichtsausdruck war schrecklich ernst, als er ihm einen italienischen Pass mit seinem Foto und einem unbekannten Namen reichte.
    – Das Leben, das sie Ihnen genommen haben, kann ich Ihnen nicht zurückgeben. Tut mir leid. Aber ich kann Ihnen ein anderes geben.
    – Wer ist dieser Guido Arnese?
    – Ein anständiger Junge. Er hatte ähnliche Ideen wie Sie. Er ist zu früh gestorben, um Ihren Untergang mitzuerleben. Er wäre glücklich, wenn er wüsste, dass Sie an seine Stelle treten.
    Guido drehte und wendete das Dokument in den Händen. Es schien echt zu sein.
    – Was für einen Beruf hatte er?
    – Es wird Ihnen seltsam erscheinen, aber er war Arbeiter.
    Eigentlich, dachte Guido, ist es ein Mandala, das vervollständigt wird. Die Herkunft war ausradiert. Die Erbsünde getilgt. Das Bürgersöhnchen war ausgerechnet in einem Arbeiter auferstanden.
    – Serge?
    – Es wird keine Konsequenzen geben, für niemanden.
    – Nicht einmal für … Rossana?
    – Jemand hat sich um sie gekümmert. Ach, Sie wollen wissen, ob sie tot ist. Nein, sieht nicht so aus. Oder zumindest noch nicht.
    – Und Flavio?
    – Sobald Sie entschieden haben, was Sie mit Ihrer Zukunft machen, können Sie Kontakt zu ihm aufnehmen. Sofern sie ihn nicht hinter die Gitter des Hotel Regina zurückgeschickt haben. Sie sollten ihm aber sagen, dass er sich mit den Joints ein wenig zurückhalten sollte.
    – Meine Zukunft …, hatte Guido bitter gesagt.
    Lupo lächelte.
    – Ich kann Ihnen auf völlig offiziellem Weg eine kleine Wiedergutmachung zukommen lassen. Genug, um eine Zeit lang auszukommen, um sich umzusehen, mit einem Wort …
    – Ich will Ihr Geld nicht!
    Lupo und Daria warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Was hatte ich dir gesagt? So ist er nun mal. Ein junger Idiot, der sehr, sehr viel Glück hatte. Sie gingen, ohne die Tür zu schließen. Als sie den engen Gang zur Hälfte zurückgelegt hatten, kam ihnen der Junge nachgelaufen.
    – Danke, Baron.
    Lupo nickte, drückte dem Jungen die Hand und drehte ihm endgültig den Rücken zu.
    Alissa kam langsam zu Bewusstsein. Vor den vergitterten Fenstern des Cottages fielen die schrägen Sonnenstrahlen auf die grünen Hügel Connecticuts. Mit wenigen nüchternen Worten teilte ihr der Kommandant mit, was geschehen war. Sie hatten eine Runde verloren, aber das Match war noch nicht entschieden. Dann bückte er sich und streichelte ihr mit einer unüblichen Geste das Gesicht.
    Alissa ergriff seine Hand, als wolle sie sie für immer festhalten. Sie wusste weder wo sie war noch wie sie hierhergekommen war, aber sie fühlte sich zu Hause.

Epilog
    Ein paar Stunden später saßen Lupo und Daria in einem Café auf der Place de l’Odéon. Lupo dachte, wenn er wirklich so konsequent wäre, wie er sich zu sein rühmte, hätte er seinen Abschied einreichen müssen. Angesichts der Querschüsse der hohen Tiere, die das Netzwerk der Kriegstreiber protegierten, und der Unentschlossenheit der Demokraten hatte sich die Gelegenheit, dem Kommandanten das Handwerk zu legen, in Luft aufgelöst. Wenn er bis zuletzt konsequent gewesen wäre, hätte er alles auffliegen lassen müssen. Er hätte kündigen und den Richtern das ganze Material aushändigen müssen. Er hätte, er hätte … aber er würde es nicht tun. Lupo kannte die Niederungen der Justiz viel zu gut, um sich Illusionen zu machen. Mastino und die anderen waren lieber gestorben, als sich zu ergeben, also konnte er sie nicht gegen ihren Chef ausspielen. Der Kommandant wäre in ein Land geflüchtet, das seiner Auslieferung nie zugestimmt hätte. Die ganze Sache
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