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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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mit den Rastalocken und dem Nirvana-T-Shirt, der sich einen Joint baute und seine Zöpfe knetete?
    – Wir treffen uns morgen um fünf Uhr nachmittags vor dem Hauptkommissariat … wir kommen einzeln, um nicht aufzufallen. Jeder von uns ist verpflichtet, zumindest einen Genossen oder eine Genossin mitzunehmen, wenn möglich sogar mehr … Wir müssen zahlreich auftreten, Genossen. Wir müssen verhindern, dass Genosse Mamoud den amerikanischen Henkern ausgeliefert wird …
    – Meiner Meinung nach haben ihn die Verräter bereits ausgeliefert!, schrie eine Stimme ganz hinten im Saal. Es folgte beifälliges Gemurmel. Guido schüttelte den Kopf.
    – Dann erst recht! Wir müssen trotzdem entschieden auftreten, ohne Angst zu haben, eine Glasscheibe zu zerbrechen oder einen Kopf einzuschlagen.
    Hamid ging zu Salah.
    – Sie sagen, Mamoud sei ihr Genosse …
    – Na und?
    – Das stimmt nicht!
    – Na und? Sie sind auf unserer Seite … Sie werden schon draufkommen, im richtigen Moment … du weißt ja, das Bündnis mit den Ungläubigen kann nur vorübergehend sein …
    Die beiden Araber verabschiedeten sich von Guido und versprachen, morgen zur Demo zu kommen. Der Junge holte sich an der Theke ein Bier. Das Treffen war gewiss ein Erfolg gewesen. Alle Mitglieder des Zentrums waren gekommen. Die Typen, die die Dealer aus dem Viertel vertreiben wollten, und das feministische Kollektiv, das bei anderen Gelegenheiten für Probleme gesorgt hatte, wegen der Stellung der Frau im Islam. Die kreativen Giftler wie Flavio, die Anarchisten und auch die alten Kommunisten, die es satthatten, von ihrer ehemaligen Partei an der Nase herumgeführt zu werden. Es war eine gute Idee gewesen. Die Demo würde groß und kompakt sein. Und wenn notwendig auch gewalttätig. Guido kam nicht umhin, einen gewissen Stolz zu empfinden. Das waren unangebrachte Gefühle für einen Genossen, aber er konnte nichts dagegen tun. Und er fühlte sich gut dabei. Alle hörten ihm zu und gaben ihm recht.
    – Und mit wem willst du diese Demo machen?
    Guido schnellte herum, verärgert. Die Stimme mit dem deutlich ausländischen Akzent, in der eine unüberhörbare Ironie lag, gehörte einer jungen Frau, die ungefähr so alt war wie er. Blond, grüne Augen, zart. Hübsch. Sehr hübsch. Ein neues Gesicht. Noch nie gesehen im Argentovivo. Sie lächelte, zunehmend spöttisch. Fast sarkastisch.
    – Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viele Wachen sie auf dem Polizeipräsidium haben? Wir sind dreißig, gehen hin und machen buuhhh?
    – Wir werden mindestens hundert sein.
    – Ach, eine beeindruckende Demo.
    – Irgendetwas müssen wir tun. Die Zeitungen werden darüber schreiben …
    – Sie werden schreiben, dass dreißig, nein, entschuldige, hundert Idioten die israelische Fahne verbrannt haben … Und derweil befindet sich der arme Genosse Mamoud in den Klauen der CIA …
    – Hast du einen besseren Vorschlag, Genossin?
    – Befreien wir Mamoud.
    Guido begann zu lachen.
    – Bist du verrückt oder eine Provokateurin?
    – Ich bin nur eine Genossin.
    – Ach ja? Und warum habe ich dich noch nie zuvor gesehen?
    Sie sagte etwas, aber irgendjemand hatte
Massive Attack
auf volle Lautstärke gedreht und ihre Antwort ging im
trip hop
unter. Guido trat nah, ganz nah an sie heran. Sie hatte hohe Backenknochen wie eine Osteuropäerin und perfekte Zähne. Ihr Atem duftete nach Erdbeeren.
    – … Als es in Paris eng für mich wurde, erklärte sie, bin ich nach Rom gekommen …
    – Um uns beizubringen, wie man Demos organisiert?
    – Das wäre notwendig. Aber bei euch Italienern versuche ich das nicht einmal.
    Sein Blick fiel auf ihre Brüste, die von dem tief ausgeschnittenen T-Shirt mehr schlecht als recht verborgen wurden. Das war nicht der übliche Look der Genossinnen. Eine Verrückte. Oder eine Provokateurin. Oder ein Mädchen aus guter Familie. Guido witterte die Klasse. Seine Klasse. Hin und wieder konnte er seine Herkunft nicht verleugnen: Er war ein echter Bourgeois. Eine Verrückte oder eine Provokateurin. Im Übrigen hatte man auch ihm misstraut, als er sich der Bewegung angeschlossen hatte …
    – Und wie sind wir Italiener deiner Meinung nach?
    – Wie du. Chaotisch. Maulhelden. Ihr glaubt, ihr könnt eine Revolution machen, indem ihr Fahnen verbrennt …
    – Und du?
    – Erinnerst du dich an Seattle, Rostock, Glasgow 2005 … und an Genua?
    – Ich war aber auch in Genua, sagte Guido empört und führte eine Hand an die Wange, strich über die Narbe, die vom Bart
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