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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Autoren: Stephan Niederwieser
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Prolog
     
    Sobald sie ihm die Augenbinde abnahmen, sah Bernhard einen Altar vor sich. „Also doch“, dachte er, „Edvard will es wirklich.“
    Er drehte sich um. Als er hereingeführt worden war, hatte er Rascheln vernommen, unterdrücktes Hüsteln und dieses seltsame Echo, wie man es nur aus Kirchen kennt; er hatte schon seit Wochen geahnt, daß Edvard dieses Ereignis geplant und alle dafür zusammengetrommelt hatte. Und tatsächlich: Dicht an dicht drängten sich ihre Freunde in den Bänken und richteten die Blicke erwartungsvoll auf ihn.
    Die Musik begann zu spielen, und Edvards Mutter führte ihren Sohn mit bedächtigem Schritt auf den Altar zu. Sein tief geschnittenes Brautkleid wurde von dünnen Spaghettiträgern gehalten. An den Handschuhen, die ihm bis über die Ellenbogen reichten, war die Schleppe befestigt, ein langes, bauschiges Ding aus weißem, golden schillerndem Satin. Edvards Brust war stolz geschwellt, als er auf seinen Bräutigam zuschritt.
    Lipstick hatte Bernhard die braunen Locken gestutzt – vorne überdeckten sie die Geheimratsecken, hinten am Wirbel waren sie länger, um dem Kopf eine musikalische Form zu verleihen – und ihn neu ausstaffiert: tiefblaues Hemd, Smoking mit einer orangefarbenen Rose im Revers; Schwarz stand ihm gut.
    Edvard mußte an sich halten, um nicht vor Freude loszuheulen. Natürlich war es ein Risiko gewesen, seinen Geliebten mit dieser Zeremonie zu überraschen, und viele hatten ihm davon abgeraten. Der nüchterne Geschichts- und Mathematiklehrer Bernhard hatte nichts übrig für emotionales Geplänkel, für die dramatischen Momente, die sein Liebhaber allzu gerne inszenierte – das wußte Edvard nach viereinhalb Jahren Beziehung zur Genüge. Es wäre Bernhard durchaus zuzutrauen gewesen, daß er sich weigern, sich empören oder gar wortlos aus der Kirche stürmen würde. „Aber wenn er bleibt“, hatte Edvard sich gesagt, „dann ist das der größte Beweis seiner Liebe.“
    Und natürlich hatte er vorgebaut. Dieser Augenblick war zu wichtig, um ihn von der Spontaneität abhängig zu machen, die Bernhard so gänzlich fehlte. Schon seit Monaten hatte Edvard das Thema immer wieder in Gespräche einfließen lassen, um seinem Zukünftigen die Einstellung dazu herauszukitzeln. Erst als er sich ziemlich sicher war, daß Bernhard einwilligen würde, hatte Edvard begonnen, alles in die Wege zu leiten.
    Bernhards Gedanken überschlugen sich: Allein schon die Diskussion um die eingetragenen Partnerschaften war ihm zuwider; eine Zeremonie, die einer Trauung ähnelte, widerstrebte ihm gänzlich. Und nun stand er hier vor versammelter Mannschaft. Er war nahe daran, mit den Armen zu fuchteln und zu rufen: „Okay, Leute, die Show ist vorbei. Geht alle nach Hause!“ Aber er wußte, wie wichtig Edvard dies alles war: die Musik, die Kirche, der inoffizielle Segen der „Öffentlichkeit“, der für ihn so etwas wie eine „Haltbarkeitsgarantie“ bedeutete.
    Wie er da steht, dachte Bernhard, mit diesem Hütchen, das an eine Marzipantorte erinnert. Doch hinter dem Schleier sah Bernhard Augen voller Liebe, so voll, daß sie überliefen. Da merkte er, wie stolz er eigentlich war: stolz, daß Edvard, der Mann, der jeden hätte haben können, der Mann, den viele haben wollten, der Mann, den viele schon gehabt hatten, sich ausgerechnet ihn ausgesucht hatte.
    Edvards Mutter legte die Hand ihres Sohnes in die Bernhards. „Seid lieb zueinander“, sagte sie und ließ die beiden vor dem Altar allein. Noch hatte er eine Chance; er könnte einfach weglaufen. Aber das konnte er Edvard nicht antun.
    Ein lautes Räuspern zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Bernhard und Edvard drehten sich zum Altar. Dort stand Raimondo im vollen Ornat eines Priesters und machte ein bedeutungsschweres Gesicht.
    „Verehrte Gemeinde, liebe Gäste, ihr stolzen Freunde“, hob Raimondo mit seiner sonoren Stimme an. „Wir sind heute zusammengekommen, um mit diesem jungen Paar zu feiern, das sich entschlossen hat, den ewigen Bund der Ehe einzugehen.“
    Ehe? Als das Echo dieses Wortes an Bernhards Ohren drang, zuckte er zusammen. Partnerschaft, ja. Namensrecht und Adoption, ja. Erbrecht, Ehegattensplitting, „Witwernrente“, ja. Aber Ehe? An der Schwelle zum einundzwanzigsten Jahrhundert? War das nicht längst passé?
    „So frage ich dich, Edvard Bornheimer, willst du diesen deinen Verlobten, Bernhard Moll, zum Manne nehmen? Willst du ihn lieben und achten und zu ihm stehen in guten wie in schlechten Zeiten? So
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