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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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1913
Jan
    Einmal war ich mit Köppen auf dem Dachstuhl. Ich meine, bevor wir auf den Turm zogen, bevor ich ahnen konnte, daß ich hier oben einmal leben sollte, war ich mit Köppen hier. Die dunkle Ecke neben dem Turmaufgang war unser Lieblingsplatz. Und Köppen hatte ein neues Messer, ein Klappmesser mit einem Heft aus rotem Leder. Es war das schönste Messer, das ich je gesehen hatte. Trotzdem habe ich gesagt, daß es etwas schwergängig sei. Köppen war gekränkt. Er wettete, daß er damit die Tür zum Turm öffnen könne, und er gewann. Seit langem wollten wir auf den Turm, aber die alten Türmer achteten immer darauf, daß die Tür zum Aufgang verschlossen war. Wir stiegen die Stufen hoch, bis die erste Tür nach links abging. Es war die Tür zum Dachstuhl. Wir gingen auf den knarrenden Planken in die Mitte des Raumes. Er war sehr hoch, höher noch schien er uns als das Gewölbe unten im Kirchenschiff. Wir stiegen auf den verdreckten Leitern bis zur fünften von sieben Ebenen und setzten uns auf einen Balken. Köppen holte wieder sein Messer hervor. Mir tat es leid, daß ich ihn gekränkt hatte. Gib mal her, sagte ich. Es ließ sich wirklich etwas schwer öffnen, aber ich tat so, als ob es mir keine Mühe machte. Ich begann, in den Balken, auf dem wir saßen, das Datum 8.1.1913 zu ritzen, zwischen Köppen und mich. Wir schwiegen, ganz still war es auf dem Dachstuhl, nur das Kratzen des Messers war zu hören und unser beider Atmen. Als ich fertig war, nahm Köppen das Messer und schnitt ein J unter die Zahl. Und noch ein K, sagte ich, um ihn noch länger betrachten zu können. Von der Seite war sein Gesicht fast das einer Frau, mit der feingeschnittenen Nase, den hohen Wangenknochen und den schmal auslaufenden Brauen. J und K, sagte Köppen und lächelte fast scheu. Laß uns noch ein bißchen herumsehen, fügte er schnell hinzu. Wir streiften weiter durch den Dachstuhl, er auf der linken, ich auf der rechten Seite. Die Streben fügten sich zu immer neuen Mustern. Jan, rief Köppen mit unterdrückter Stimme. Als ich in seine Nähe kam, gab er mir ein Zeichen, langsam zu gehen und leise zu sein. Erst als ich neben ihm stand, bemerkte ich die Traube von schlafenden Fledermäusen, die unter einem Balken hing. Sie hatte etwas beängstigend Unordentliches mit den weichen Pelzen und dem nackten faltigen Leder der Flügel, mit den spitzen Köpfen und großen Ohren. Wir hatten sie gestört, Bewegung kam in sie, unmerklich vom Rand her wie ein Flimmern. Flügel fächerten sich leicht auf, Ohren stellten sich, schwarze Augenpaare sahen uns an. Köppen faßte nach meiner Hand. Er war einen Schritt zu mir getreten, und wir standen jetzt so nah beieinander, daß ich im Gegenlicht eines kleinen Fensters die Härchen auf seiner Wange sehen konnte. Er ließ sich von mir betrachten und sah regungslos auf die Fledermäuse, die sich allmählich wieder zu beruhigen schienen, sie waren zu träge, zu unterkühlt, um aufzuwachen. Köppens Hand war warm und rauh, eine große Hand. Nirgendwo anders hätten wir so stehen können wie hier, wo keiner uns sehen konnte. Als wieder Ruhe in die Traube gekommen war, ließ er langsam meine Hand los, sehr langsam, vielleicht, um die Fledermäuse nicht wieder aufzuwecken.
Turm
    Vor meinem Leben auf dem Turm war ich wie Köppen, Donatus, Hellmund und die anderen. Ich bin täglich unten durch die Straßen gegangen, ohne nach oben zu sehen, warum auch. Vor dem Turm lebten wir im Kellergeschoß eines Mietshauses in der Breiten Straße. Mein Vater war Kunstmaler. Er muß sogar mal ein guter Maler gewesen sein, wenn er auch wenig verkauft hat. In unserer Stube hing ein Bild, das er gemalt hatte. Es zeigte ein graues Schiff auf schmutziggrünem Wasser. Die Formen des Schiffes ließen sich aber nicht klar erkennen, sie waren in einzelne Flächen aufgelöst. Die Wellen waren wie Keile gegeneinandergeschoben. Unmöglich konnte auf diesem Wasser ein Schiff fahren. Die anderen Bilder hatte er verkauft, viel zu billig, wie Mutter oft sagte. Ich weiß nicht, was er außer diesem Schiff früher gemalt hat. Jetzt malte er Bäume. Tagelang blieb er in den Wiesen vor der Stadt. Er hatte sich dort eine Art Verschlag gebaut, in dem er schlief. Einmal hat er mich mitgenommen, und ich habe ihm bei der Arbeit zugesehen. Stundenlang rührte er Farben an, ohne mit dem Malen zu beginnen. Vater, wann fängst du endlich an? Wenn die Farben fertig sind. Das dauert seine Zeit. Ich habe kein Geld für Farben, ich habe kein Geld
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