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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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kaum verdeckt wurde. Und ein Polizeichef hat fest zugeschlagen …
    – Du Armer. Ich hatte mehr Glück als du. Oder ich bin geschickter. Ich habe nichts abbekommen. Ich habe vielmehr Spuren hinterlassen … wie sagte doch euer Kaiser … veni, vidi, vici …
    – Black Bloc?
    – Black Bloc ist ein Slogan für die Presse. Ich heiße Rossana.
    – Guido.
    – Ich weiß. Los, gehen wir, hier ist es zu chaotisch.

3.
    Rossana wohnte im Pigneto, in einem Drei-Zimmer-Apartment im letzten Stockwerk eines frisch renovierten Gebäudes.
    Als Guido sie aufgefordert hatte, auf seine Harley Davidson zu steigen, hatte sie Bedenken geäußert.
    – Du solltest nicht mit so einem auffälligen Motorrad herumfahren. Wenn jemand bemerkt, dass es gestohlen ist …
    – Es ist nicht gestohlen. Ich hab es gekauft.
    – Und mit welchem Geld? Hast du einen Raubüberfall gemacht, dealst du oder was?
    – Ich hab ein wenig Kleingeld aus dem Erbe meiner reichen Eltern investiert, die bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen sind, antwortete Guido ernst, viel ernster als es die Umstände verlangten.
    – Das glaube ich dir nicht.
    – Es stimmt aber.
    – Wenigstens kannst du dich rühmen, mit dem Arsch auf der amerikanischen Flagge zu sitzen, lachte sie.
    Sie glaubte ihm nicht, eindeutig. Immer das Gleiche, dachte Guido. In dem Augenblick, als er seine Familie nicht mehr hasste, sondern sich für sie schämte, hatte er beschlossen, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit. Eine Art Therapie, hatte Flavio festgestellt, der seit drei Jahren außerordentlicher Hörer in Psychologie war. Sein bester Freund. Sein einziger Freund. Und warum auch lügen? Irgendwann kriegten es doch alle heraus. Es war viel besser, ihnen zuvorzukommen. Aber beim ersten Mal glaubten sie ihm nie. Die Leute wollten einfach nicht begreifen, dass ein reicher Erbe sein Leben nicht mit Vorstandssitzungen und Orgien verbringen wollte. Sein Vater war letzten Endes der Ehrlichste gewesen. Du bist altmodisch, hatte er zu ihm gesagt, so was hat man ’68 gemacht. Schau, dass du auf den heutigen Stand kommst. Sein Vater … der ihm vorausgesagt hatte: „Auf das Zeitalter der Scham folgt das des Bedauerns.“ Blödsinn. Scheißbourgeois. Aus, basta.
    Es öffnete ein blonder Freak in T-Shirt und kurzer Hose. Er begrüßte Rossana, betrachtete Guido und sagte etwas auf Französisch zu dem Mädchen, das zu lachen begann. Guido wurde rot.
    – Das ist Didier. Er ist schwul.
    – Ich verstehe Französisch, danke.
    – Ok. Wenn du was mit ihm anfangen willst, sag es ihm sofort, er reist morgen früh ab … also?
    – Was also?
    – Er wartet auf eine Antwort. Bist du schwul oder nicht?
    – Ich bin nicht schwul.
    – Bi?
    – Auch nicht.
    – Darauf hätte ich gewettet. So wie du mir in den Ausschnitt geblickt hast.
    – Schau, ich bin …
    – Vergiss es. Italienische Männer, wähhh!
    Didier schüttelte den Kopf und zog mit enttäuschter Miene ab.
    Rossana ging mit ihm in die Küche und goss zwei Gläser Rotwein ein. Der Franzose machte sich an einem Kochtopf zu schaffen. Scharfer Knoblauchgeruch lag in der Luft.
    – Pesto. Didier liebt es. Prost!
    – Auf dein Wohl!
    Sie tranken gleichzeitig. Guido schenkte nach.
    – Wie könnten wir Mamoud befreien?
    – Später, sagte sie. Und küsste ihn.

4.
    Guido konnte nicht einschlafen. Rossana neben ihm atmete ruhig, scheinbar in einen ruhigen und erholsamen Schlaf versunken. Es war alles so schnell gegangen. Die Körper hatten sich gesucht, schnell wie Hunde, waren schamlos ineinander verschmolzen wie die eines erfahrenen Liebespaares, während der Franzose unruhig durch die Wohnung irrte und mit seiner Baritonstimme
Satans Tanz
aus Gounods
Faust
sang. Rossana war am ganzen Körper enthaart, und auf dem Schamhügel hatte sie ein Tattoo mit kyrillischen Buchstaben.
    – Ich habe einmal in einem Moskauer Bordell gearbeitet.
    – Das ist nicht wahr!
    – Genauso wahr wie die Geschichte mit deinen Eltern.
    Die war jedoch mehr als wahr. Die großen Besitztümer seiner Familie. Die Wohnung an der Via delle Tre Madonne mit der Speisekammer, die immer randvoll mit Champagner Marke Krug und mit Belugakaviar war. Die Besitztümer in Übersee. Die Schafzucht in Australien. Die
fazendas
in Brasilien. Der Flug mit der Cessna, die in den Alpen abgestürzt war. Das Begräbnis, bei dem er besoffen und stinkend erschienen war. Die alte Kinderfrau aus den Abruzzen, die die Kühlschränke weiterhin füllte, als ob seine Eltern jeden Moment
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