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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk
Autoren: Bernd Rümmelein
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T arratar sprach mit sich selbst. Das tat er oft. Mit wem sonst sollte er sich unterhalten. Mit den Steinen und Statuen – Relikte einer längst vergessenen Zeit –, die ihn umgaben? Der Wächter des Buches hatte selten Gesellschaft. Er war allein und einsam.
    »Ts … ts … ts. Chaos, Dunkelheit, Leid und Verzweiflung«, lamentierte der Narr. »Die Schatten sind unruhig. Nalkaar, Thezael und Madsick spielen ein gefährliches Spiel. Wissen sie, was es bedeutet, die Schatten zu rufen? Ich glaube nicht. Die Macht der Schatten ist verlockend, aber sie hat ihren Preis. Bald ist die Zeit der neuen Ordnung gekommen. Es ist und bleibt immer dasselbe. Erneuerung und jeder hat seine eigenen Ideen, wie eine Welt auszusehen hat. Nur die armen, einfachen Geschöpfe müssen erdulden, was sich die Mächtigen ausdenken. Wehe denen, die unsterblich scheinen. Ich unglückseliger Narr. Die Schlacht am Rayhin ist geschlagen. Wer hätte an ein solches Ende geglaubt? Das Blut der Gefallenen hat den dunklen Hirten aus seinem Schlaf erweckt. Der gute, alte Quadalkar besiegelte sein Schicksal und ging ins Land der Tränen. Bedauerlich! Irgendwie mochte ich ihn und seine Kinder. Gewiss, sie waren nicht ohne Fehl und Tadel. Tranken das Blut der Lebenden. Verflucht in ihrem Sein. Doch sie brachten Farbe ins Spiel. Aber am Ende war sein Tod doch für etwas gut. Er bannte den Fluch, der den weißen Schäfer im ewigen Schlaf festhielt. Und schon ist das Gleichgewicht wiederhergestellt. So einfach kann eine Lösung sein. Und doch ist sie es wiederum eben nicht. Ts … ts … ts.«
    Der kleinwüchsige Mann schüttelte den Kopf, bis die Glöckchen an seiner Flickenkappe klingelten. Sein Blick wanderte zu einer Pfütze in der Nähe des steinernen Tisches, auf dem er seine Schreibutensilien ausgebreitet hatte. Im ruhigen Wasser erkannte er sein eigenes Spiegelbild, das ihm aus der Pfütze keck entgegenlächelte. Tarratar hatte sich nichtverändert. Keinen Tag war er in den letzten Sonnenwenden gealtert und wirkte keineswegs überrascht ob dieses Umstands. Denn er verfügte nicht nur über unschätzbar wertvolles Wissen, sondern wusste auch um seine Unsterblichkeit. Jedenfalls, solange seine Aufgabe nicht beendet war und ihn die Kojos über Kryson wandeln ließen.
    Im Gegensatz zu anderen Begabten kannte er das Geheimnis, den Prozess des Alterns und langsamen Verfalls aufzuhalten. So musste sich Tarratar über solcherlei Schwierigkeiten schon seit langer Zeit nicht mehr den Kopf zerbrechen.
    Tarratar legte seine Stirn in Falten und kramte eine alte, schon vergilbte Schriftrolle hervor, die seine Aufzeichnungen über das Wesen der Lesvaraq enthielt, so wie er die Träger der Macht sah. Er würde die Schriftrolle ergänzen müssen, denn der Zyklus hatte erneut begonnen. Verächtlich spuckte der Narr in einen Napf neben seinem Tisch.
    »Täuschung, Verrat und Verzweiflung. Wie lange muss ich ausharren und die Torheiten der Sterblichen noch ertragen. Die Macht treibt ein grausames Spiel mit ihren Geschöpfen. Die Lesvaraq wurden wiedergeboren. Kallya und Tomal. Ihre Mütter mussten leiden. Schrecklich! Doch so lautet die Regel. Welch üblen Zug hat sich das Gleichgewicht für sie ausgedacht? Kallya, das Wesen des Lichts. So hell und rein sie ist. Verdorben ist ihr Geist. Und Tomal? Tag und Nacht vereint in einem Wesen. Hoi, hoi, hoi. Das kann nicht gut gehen. O nein. Er wird sich entscheiden müssen, will er seine Aufgabe erfüllen.«
    Tarratar führte von jeher ein einsames Leben. Seit Tausenden von Sonnenwenden hatte er – bis auf wenige Ausflüge – nichts anderes getan, als zu warten, Fakten zu sammeln und niederzuschreiben. Sein Aufenthalt im Kristallpalast vor einigen Sonnenwenden hatte – wenn auch nur kurz – ein klein wenig Abwechslung in sein tristes Dasein gebracht. Ein Lebendes Beobachtens. Ulljan hatte sich dieses Schicksal für ihn vor langer Zeit ausgedacht, und Tarratar war von Anfang an stets ein treuer Freund des letzten Lesvaraq gewesen, der seine Aufgabe meist aus dem Verborgenen erfüllte und sehr ernst nahm. Er wusste wohl, dass es noch andere Wächter gab. Die meisten seiner Schicksalsgefährten kannte er und beneidete sie nicht um ihre Aufgabe, die kaum besser war als seine eigene. Tarratar wollte sich nicht beklagen. Im Vergleich zu anderen Wächtern hatte er es gut getroffen.
    Während er seinen Federkiel in die mit schwarzer Tinte gefüllte Phiole tauchte, zauberte er einige Worte auf die vor ihm ausgebreitete
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