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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance
Autoren: Karin Alvtegen
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umgebaut worden waren.
    Noch ein Tag, den man hinter sich lassen konnte.
    In Emelies Zimmer war die Lampe an, sie saß am Schreibtisch vor dem Computer. Immer saß sie da, als wäre er eine Verlängerung ihrer selbst. Und wie üblich, wenn Helena sich näherte, wurde der Bildschirm abgeschaltet und verdunkelte sich.
    »Bist du noch nicht im Bett?«
    »Gleich.«
    »Wir haben doch darüber gesprochen, dass du zu lange am Abend noch auf bist.«
    »Gleich, habe ich doch gesagt, ich muss nur noch eine Sache fertig machen.«
    Helena starrte auf den Bildschirm. Die schwarze Oberfläche war ein Hohn auf alles, was sie wollte, wie eine visuelle Bestätigung für den Abstand, der zwischen ihnen entstanden war. Hinter ihm gab es für ihre Tochter eine Welt, zu der Helena keinen Zutritt hatte.
    »Im Ernst, Emelie, wie viele Stunden am Tag sitzt du eigentlich da? Warum trefft ihr euch nicht, statt dass jeder für sich in seinem Zimmer sitzt und chattet?«
    Emelie schwieg, wie immer bei dieser Frage.
    »Du könntest doch mal jemanden mit hierherbringen. Wenn es schwierig für deine Freundinnen ist, nach Hause zu kommen, kann ich sie fahren. Oder sie können hier übernachten, wenn du willst. Freie Betten haben wir ja genug.«
    Ihr Versuch zu scherzen ließ die Tochter kalt.
    »Nein danke.«
    »Warum nicht?«
    »Hör doch auf zu nerven.«
    Sie wusste, dass sie Emelie jetzt eigentlich alleine lassen sollte, aber sie machte sich Sorgen. Das Bewusstsein über ihr eigenes trauriges Leben konnte sie mit den täglichen Pflichten verdrängen, aber wenn sie ihre Tochter sah, wurde ihr das eigene Scheitern bewusst, und das bereitete ihr Atemnot.
    »Kannst du nicht versuchen, dir was anderes auszudenken? Ich glaube, es würde dir guttun, mal was Neues auszuprobieren. Vielleicht könntest du mit irgendeinem Sport anfangen oder ein bisschen mehr auf deiner Gitarre spielen? Das hast du doch früher immer gemacht und bist darin so gut geworden.«
    Wie anders alles geworden war, als sie es sich vorgestellt hatte. Der Hof oben in Norrland, ihre Verschnaufpause, wo sie als Kind immer die Sommerferien verbracht hatte. Nicht nur von der Schule befreit, sondern auch von Mutter und Schwester und den zwei Zimmern mit Küche im Stockholmer Vorort Vällingby. Wie sie sich immer nach dem Sommer gesehnt hatte. Die Kühe, die sie zum Melken holen durfte, und die Hühner, die gefüttert werden mussten. All die Hütten, die sie im Wald gebaut hatten. Floßfahrten auf dem See. Runzlige Fingerspitzen nach stundenlangem Baden und Blaubeerflecken an den Kleidern. Nachts schliefen sie auf dem Heuboden, in ihre Schlafsäcke verkrochen, wenn sich unbekannte Geräusche angeschlichen und ein großes Mysterium versprochen hatten.
    Und die beiden Erwachsenen, die ihre Sommereltern geworden waren. Wunderbarerweise immer für sie da, obwohl sie ständig mit ihren Pflichten beschäftigt waren. Nie lagen sie bis spät vormittags im Bett, zu traurig oder zu müde, um aufzustehen.
    Es war dieses Kindheitsglück, das sie ihrer Tochter hatte bieten wollen, als sie und Martin die Möglichkeit bekommen hatten, den Hof zu kaufen. Den stressigen Alltag in Stockholm hinter sich zu lassen und den Traum von einem kleinen Hotel zu verwirklichen. Emelie war zehn Jahre alt gewesen und sollte endlich auf dem Land wohnen.
    Drei Jahre waren seither vergangen.
    »Es gibt so vieles, was man tun kann, wenn man nur ein bisschen Phantasie hat.«
    »Aha, was denn zum Beispiel? Wenn man draußen im Wald wohnt, gibt es nicht so wahnsinnig viel zu tun. Und es gibt auch niemanden, der hierherkommen will, es ist viel zu weit zu fahren.«
    Ein Knoten im Zwerchfell, wo sich alles angestaut hatte. Alles, was sie nur wegstecken konnte, weil sie hoffte, dass es eines Tages verschwinden würde. Emelies Worte hatten mit exakter Präzision getroffen.
    »Du könntest mir ein bisschen mehr helfen, wenn es dir zu langweilig ist.«
    Der Vorschlag war ziemlich schlecht. Von ihr wurde erwartet, dass sie eine Lösung fand, obwohl es keine gab. Seit einem halben Jahr stocherten sie in den Scherben herum. Sie waren beide zurückgelassen worden, und das hätte ihre Gemeinschaft stärken sollen. Stattdessen schienen sie einander zu meiden, um nicht an das erinnert zu werden, was zerstört worden war.
    »Ich kann auch von hier wegziehen, wenn ich schon so verdammt schwierig bin.«
    Emelie stand auf und stieß an ihren Arm, als sie sich durch die Tür drängte. Helena schloss die Augen, um den Knall der Badezimmertür zu
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