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Bauernsalat

Bauernsalat

Titel: Bauernsalat
Autoren: Kathrin Heinrichs
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    Ich liebe den Herbst. Ich liebe den Herbst, obwohl er mich fürchterlich melancholisch macht. Und der Herbst im Sauerland scheint dazu eine besondere Begabung zu haben. Der Laubwald im Borketal hatte eine zauberhafte Mischung von Gelb- und Rottönen angenommen. Jetzt, wo die Sonne durch die lichter werdenden Baumwipfel schimmerte, erschien der Herbst goldener denn je. Rechter Hand plätscherte der Fluß, dessen Oberfläche märchenhaft im Sonnenlicht glitzerte.
    Im Zuge meiner zunehmenden Melancholie mußte ich unwillkürlich an ein Gedicht aus meiner Studienzeit denken: » Herbsttag« – ein Klassiker von Rainer Maria Rilke, der in dieser Jahreszeit bei jeder Gelegenheit rezitiert wurde: »Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.« Schon wußte ich nicht mehr weiter, was mir peinlich war. Schließlich hatte ich Germanistik studiert und mich mit speziell diesen Versen beschäftigt.
    Mir schoß in den Kopf, daß dieser Sommer bereits mein Zweiter im Sauerland gewesen war, nachdem ich vor eineinhalb Jahren eine Lehrerstelle an einer katholischen Privatschule angenommen hatte. War ich mir damals nicht sicher gewesen, daß ich es höchstens ein Jahr lang hier aushalten würde? Nun, inzwischen hatte ich meine Aufenthaltsdauer mental verlängert, wenngleich mich der Gedanke an ein kühles Glas Kölsch nach wie vor noch sehnsuchtsvoller stimmen konnte als jede sauerländische Herbstlandschaft Alexa – natürlich hatte vor allem sie dazu beigetragen, daß ich mich in der neuen Umgebung zunehmend wohler fühlte. Meine Freundin Alexa, mit der ich seit über einem Jahr den Beweis antrat, daß mit Rheinland und Westfalen nicht zwei unvereinbare Mentalitäten zusammenkommen. Darüber hinaus machte mir auch der Lehrerberuf Spaß, noch dazu, da ich an meinem ländlichen Gymnasium das Klassenzimmer noch ohne Kugelweste und Verteidigungsspray betreten konnte.
    Es sprach eben alles für eine Zukunft im Sauerland, eine Zukunft an Alexas Seite – es sprach alles für festgefügte Strukturen und glückliche Jahre im Eigenheim. »Sie sind schließlich nicht mehr der Jüngste!«, hatte mir die Sekretariatsnonne Gertrudis erst unlängst im Lehrerzimmer mitgeteilt – und im selben Atemzug hinzugefügt, der anstehende Millenniumswechsel sei das ultimative Datum für meine Trauung. Ich hatte mir abgewöhnt, dem zu widersprechen. Schwester Gertrudis war nun mal der Meinung, daß man in meinem Alter nur noch unter Zuhilfenahme mehrerer Erbschaften verheiratet werden konnte.
    Bei solcherlei Überlegungen überkam mich dann jedes Mal dieses flaue Gefühl. Es hatte irgendwie Ähnlichkeit mit den Vorzeichen einer Magen-Darm-Grippe. Es war so ein Ziehen, das gleichzeitig ein Drücken war. Es begann direkt in der Magengegend, zog sich von dort in den Herzbereich, sorgte da für einen Beinahausfall der Herztätigkeit und schlug dann auf den Kreislauf über, so daß mich ein heftiger Schwindel überkam, der meist mit einem Klirren in den Ohren endete. Während ich das Ortsschild von Alexas Heimatdorf passierte, setzte das flaue Gefühl in der Magengegend bereits zum Sprung auf die Herzregion an. Ich versuchte mich zu entspannen. Heute konnte ich mir Schwächeleien nicht leisten. Heute hatte ich einen Auftrag. An diesem Samstag sollte ich mich um Alexas Oma oder, wie man im Sauerland sagt, »Ommma« kümmern. Ein Kinderspiel, denn ich brauchte noch nicht einmal selbst für Ommmas Unterhaltung zu sorgen. Vielmehr sollte ich Ommmas Schwester Mia, die im selben Ort wohnte, herbeikutschieren und nachher wieder zurückbringen. Alexa selbst war der tierärztliche Notdienst dazwischengekommen und so war ich eingesprungen. Warum auch nicht? Schließlich war ein Ausflug in eine herbstlich geschmückte Dorfidylle eine durchaus verlockende Vorstellung. Ich ahnte noch nicht, was der Nachmittag mit Ommma und ihrer Schwester an Überraschungen für mich bereithalten sollte. Viel weniger noch sah ich voraus, wie sehr mein Bild von der Dorfidylle in wenigen Stunden aufs Heftigste erschüttert werden würde.
    Von all dem machte ich mir keine Vorstellung, als ich den Wagen vor Alexas Elternhaus parkte und gut gelaunt auf die Eingangstür zuschritt. Als sich die Haustür öffnete, blieb mir keine Zeit für eine Begrüßung. Ommma Schnittler zog mich sofort zu sich heran und flüsterte mir verschwörerisch etwas zu, ohne zu berücksichtigen, daß wir sowieso ganz allein im Haus waren.
    »Von mir aus brauchten Sie meine Schwester gar nicht zu holen«, raunte
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