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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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nicht aus.
    Ich drehte mir einen Joint.
    Ich rauchte ihn nicht.
    – Komm und sieh’s Dir an, Du Arsch. Komm, sieh Dir an, was Deine Söhne auf der Welt tun.
    Ich ging nach unten, um nachzusehen, ob mein Sohn tot war.
    Er war es nicht.

22
     
    In ein paar Tagen hat mein Sohn seinen ersten Geburtstag, und ich sitze in einem Café in Woodstock und warte darauf, mit dem Besitzer über einen Kuchen zu sprechen, den er für die Party, die wir vorhaben, backen soll. Ein junger Mann kommt herein, setzt sich an einen Tisch am Fenster und schlägt die Zeitung auf. Als der Kellner kommt, fragt der Mann ihn, ob es ihm etwas ausmache, die Musik auszustellen.
    – Ich muss … ich muss nachdenken, sagt er. – Wissen Sie, um nachdenken zu können, muss ich mich einklinken, wissen Sie, spirituell, innerlich, ich muss den Weg zu meiner inneren Quelle finden, und es ist sehr störend, denn das Denken ist eine Blase, der Geist und der innere Raum, wissen Sie?
    – Klar, sagt der Kellner.
    Kurz darauf erblickt der junge Mann eine Frau an einem Tisch in der Nähe. Sie trägt Pippi-Langstrumpf-Zöpfe, ein geblümtes Kleid und Birkenstock-Sandalen.
    Damit habe ich ganz Woodstock beschrieben.
    – Was zeichnen Sie da?, fragt er.
    – Etwas aus einem Traum, sagt sie mit einem spirituellen Flüstern. – Ich hatte einen Traum, in dem habe ich Christus gesehen, und er war wiederauferstanden, nur dass sein Körper nicht von Haut und Knochen und Schmerzen und Qualen erfüllt war. Er war von Regenbogen erfüllt.
    – Regenbogen?
    – M-hm. Und die Regenbogen waren die Liebe. Und sie erfüllten die Welt.
    – Das ist schön, sagte er.
    Er trat an ihren Tisch, reichte ihr seine Visitenkarte und drängte sie, sich seinen Film anzusehen, der am Abend in einem hiesigen Pub gezeigt werde. Sie reichte ihm ihre Visitenkarte, falls er seinen Schädel gelesen und seine Chakras vermessen haben wolle. Oder seine Chakras gelesen und seinen Schädel vermessen. Ich hab’s vergessen.
    Woodstock ist ein blühendes Touristenstädtchen, das auf der ganzen Welt für etwas bekannt ist, das dort eigentlich gar nicht stattgefunden hat; das berühmte Musikfestival war in Bethel, einem nichtblühenden Städtchen, das für etwas, das dort stattgefunden hat, nirgendwo berühmt ist.
    Die Bilder geben nicht den tatsächlichen Inhalt wieder.
    Vor zehn Jahren sind Orli und ich hierher gezogen. Wir leben unmittelbar außerhalb von Woodstock auf einem Hügel mit Blick über ein Tal. Es gefällt uns hier. Wir sind schon Hunderte von Kilometern durch die Wälder gewandert, erst wir beide, dann mit Harley, dann mit Harley und Duke, jetzt mit den Hunden, die vorauslaufen, und unserem Sohn, den ich auf den Rücken geschnallt trage. Ich hasse Paraden, diese aber liebe ich. In den letzten Jahren hat sich das Städtchen verändert oder wir oder beide. Es ist zur Kunstversion von Vegas geworden. Die Künstler nennen sich Love und Peace und Free und verkaufen übergroße, überteuerte Leinwände mit bunten Blumen und bunten Tauben und bunten, Händchen haltenden Menschen darauf, Leinwände, die fast nicht in die überteuerten, übergroßen Hummer ihrer Kundschaft aus Manhattan passen. Die Menschen tragen gebatikte T-Shirts und Diesel-Jeans, BMW -Sportwagen haben hinten Aufkleber, die die Lexus-Sportwagen hinter ihnen an die Tragödie von Darfur erinnern. Im Hinterkopf wissen wir, dass die Suche nach unserem Gelobten Land noch nicht zu Ende ist, es vielleicht nie sein wird.
    Der Cafébesitzer kommt, und wir sprechen über den Kuchen.
    – Was möchten Sie denn für einen Kuchen?, wimmert er.
    Homosexualität wird in dieser Stadt verehrt, weniger wegen der beharrlichen Weigerung der Homosexuellen, sich vorschreiben zu lassen, wen er oder sie lieben dürfen, vielmehr wegen seines oder ihres Geschmacks bei Wein und Inneneinrichtung. Daher tragen viele Männer hier ein gewisses Maß an stereotyper Homosexualität zur Schau, was wiederum die homosexuellen Männer hier veranlasst, ein noch größeres Maß dessen zur Schau zu tragen. Ein Stück weiter in der Kingston Mall geben sich weiße Jugendliche wie schwarze, die schwarzen wie West-Coast-Gangster. Wir sind alle verloren, jeder in seiner entsetzlichen, lächerlichen Wüste, die bis in alle Ewigkeit zu gehen scheint.
    – Ist mir egal, sage ich. – Er sollte so groß sein, dass das draufpasst.
    Ich reiche ihm ein Blatt Papier.
    – Das alles soll auf den Kuchen?, fragt er.
    Ich nicke.
    Er liest, was auf dem Blatt steht, und sieht mich
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