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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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zurück, was klug war (sie jagen Löwen), ignorierte Orlis Versuch einer Willkommensumarmung und ging ins Esszimmer, wo er sich in die Ecke stellte und durch die dunkle Sonnenbrille, die Arme über der Brust verschränkt, aus dem Esszimmerfenster starrte. Weder er noch meine Mutter zogen den Mantel aus.
    Dann viel Spaß.
    Meine Mutter sprach Paix’ Namen nicht aus. Sie fragte, wie es »dem Baby« gehe, sagte, wie süß »das Baby« aussehe, und fragte, wie sich »das Baby« mache. Hätten wir ihn Yankel Berel Shmerel genannt, sie hätte den Namen mit Pailletten auf ihr T-Shirt genäht.
    – Süß ist er, nicht?, sagte sie zu meinem Vater.
    Nichts.
    – Na, und wie!, fuhr sie fort. – Hat man schon mal so einen Haarschopf gesehen!
    Nichts.
    Sie erinnerte mich an eine Frau in einem Kriegsgebiet, die den Küchenboden wischte und das Porzellan abstaubte, während um sie herum die Bomben explodierten. Ich muss hier sauber machen, die Gäste können jeden Moment da sein!
    – Was glaubst du, wem sieht er ähnlich?, fragte sie meinen Vater.
    – Er sieht aus wie ein Baby, knurrte mein Vater.
    Sie gingen. Ich sah ihnen nach. Ich hatte das bestimmte Gefühl, auf einem Pier zu stehen, der plötzlich aus seiner Verankerung gelöst war und langsam mit mir aufs Meer hinaustrieb.
    Es war ein angenehmes Gefühl.
    Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass ich sie sah.
     
    Eine Woche später mailte mir meine Schwester, ich sei das kleinste Stück Sch&ße auf der Welt, und auch wenn es keinen in meiner Familie einen Sch&ß interessiere, was ich machte, wäre es denn so verd&mmt schwierig gewesen, meinen Sohn am achten Tag zu beschneiden?
    In verbotenen Wörtern Vokale durch Symbole zu ersetzen ist für die Frommen ein übliches Schlupfloch. Wenn sie nicht gerade predigen, was für ein beschissener Irrer der Herr ist, benehmen sie sich, als wäre Er ein beschissener Idiot.
    – Fick Dich, antwortete ich. – Und die Tor@, mit der Du daherkommst.
    Als Nächstes mailte mir meine Mutter. Ich hätte den Bund mit Abraham gebrochen, erklärte sie. Sie führte alles auf, was ich getan hätte, um sie zu verletzen: den Sabbat entweiht, mich tätowieren lassen, mit dem, was ich geschrieben hätte, was ich veröffentlicht hätte oder vorhätte zu veröffentlichen. Am Ende des Schreibens machte sie auf Holocaust: Indem ich meinen Sohn von seiner Familie und seinen Wurzeln fernhalte, verweigerte ich ihm eine sichere Zuflucht in Israel, wenn der nächste Holocaust komme. Sie schloss mit einem hoffnungsfrohen Zitat des Propheten Jeremia, in dem er verspricht, eines Tages würden die Sünder bestraft und jene, die vom rechten Weg abgekommen seien, würden bereuen und zu ihren Müttern zurückgebracht werden.
    Ich fand das ironisch. Jeremia hatte nie geheiratet. Er hatte nie seinen Sohn beschneiden müssen. Der Legende zufolge auch seine Eltern nicht, da Jeremia schon beschnitten auf die Welt gekommen war. Also halt die Fresse, Jerry, ja?
    Vor Tausenden von Jahren verstümmelte ein panischer, halb verrückter alter Mann seinen Sohn genital, um damit bei dem Wesen, das, wie er hoffte, den Laden schmiss, Punkte zu machen. Im Lauf der Jahre schrieben genauso panische Männer Segnungen und verfassten Gebete und ersannen Rituale und verfügten, dass ein Stuhl für Elia frei bleiben solle. Sechstausend Jahre später sieht ein Vater seinem Enkel nicht ins Gesicht, ein Verhalten, das eine Mutter und eine Schwester verteidigen, weil das Kind nicht auf genau die richtige Weise verstümmelt worden ist.
    Kommt her und seht, was eure Söhne auf der Welt tun.
    Ich rief Ike an. Ich bat ihn um einen Termin. Ich fuhr mit dem Zug in die Stadt.
    – Versuchen Sie doch mal, ihr zurückzuschreiben, war sein Vorschlag.
    Dreihundertfünfzig Dollar die Stunde.
    Oj wej , begann der Brief. Sie erwähnte Abraham, ich erwähnte Isaak, den Sohn, der sich nie wieder fing – der schwermütige Stammvater, den eine Nation von Gläubigen praktischerweise vergisst, wurde zu einem Mann, der selten sprach, dessen Trauma ihn passiv machte, der sich schnell als Opfer fühlte, einem Mann der Untätigkeit, der sich von dem bewundernswerten Nichtselbstopfer seines geschätzten Vaters offenbar nie mehr erholte – und nun wurde ich auf dem gleichen Altar geopfert, dem gleichen Gott, nur dass diesmal kein Widder im Gebüsch stand.
    Ich wünsche Dir einen guten schmuten buten Sonstwas , schrieb ich. Ich bin mit meiner Familie im Wald.
     
    Ich schickte den Brief nicht ab.
    Ich druckte ihn
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