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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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nicht mitgerechnet. Ich löschte das Stück mit Gott, dass er keine Zicken machen und mir einen Schrecken einjagen soll, damit kam ich auf 240. Ich strich den Teil, in dem ich Gott wissen ließ, dass ich seine kleinen Schreckenstaktiken kannte, immerhin umfasste diese Version nur 184 Zeichen ohne Leerzeichen, 225 mit. War die Begrenzung auf 200 Zeichen inklusive Leerzeichen? Das stand da nicht, und ich wollte es nicht riskieren. Das war wieder typisch Gott, wie er einen so reinlegte – mein Sohn würde sterben, und ich würde mich umbringen und in den Himmel kommen und fragen: – Was soll das?, worauf Er sagen würde: – E-Mail? Ich hab keine E-Mail gekriegt. War wohl über der Zeichengrenze. Und die ganzen arschigen Engel würden lachen.
     
    Lieber Gott,
bitte töte meinen Sohn nicht bei der Geburt. Und töte meine Frau nicht bei der Geburt. Ich weiß, Du bist sauer auf mich, aber ich auch auf Dich, aber das bleibt unter uns. Danke. S.
     
    Das blieb weit hinter dem Original zurück, aber ich war nun auf 195 Zeichen inklusive Leerzeichen runter. Im letzten Moment kriegte ich noch kalte Füße und nahm die gesamte »sauer«-Passage heraus.
     
    Lieber Gott,
bitte töte meinen Sohn nicht. Und auch nicht meine Frau. Danke. S.
     
    In der Kürze liegt die Furcht.
     
    Es gab ein Problem.
    – Schulter, sagte die Hebamme und schüttelte den Kopf. – Sitzt fest.
    Da geht ’ s schon los , dachte ich. Scheiße, Scheiße, Scheiße .
    Sein Kopf war draußen, ebenso sein rechter Arm, er streckte ihn über den Kopf, tauchte die Hand in das Wasser der Welt, testete es vorm Eintauchen.
    Fühlt sich kalt an, Dad.
    Es wird noch kälter, Kleiner.
    Orli und ich hatten die letzten neun Dienstagabende im Geburtsunterricht verbracht. In den ersten drei Wochen erfuhren wir von jeder nur möglichen Komplikation während der Wehen und wie jede einzelne das Kind töten konnte. Die zweiten drei Wochen verbrachten wir damit, über jede nur mögliche medizinische Behandlung der während der ersten drei Wochen erörterten Komplikationen zu lernen, und in den letzten drei Wochen erfuhren wir, wie jede einzelne der in den zweiten drei Wochen erörterten möglichen medizinischen Behandlungen unser Kind töten konnte. Dann kriegten wir ein Fotoalbum und eine Windel.
    Ich hielt Orlis Hand. Das Gesicht unseres Sohnes war blau. Und wurde blauer.
    – Was siehst du?, keuchte sie zwischen ihren Atemzügen hervor.
    – Nichts, sagte ich.
    Mose , dachte ich.
    Der Anreiz. Der kurze Blick. Ein sehr kurzer. So funktioniert Sein Witz. Ein blauer Kopf, ein schwarz-blauer Arm, Moses kurzer Prä-mortem-Blick aufs Gelobte Land – er hat Orlis Lippen –, ein Oldie, aber ein Goodie, o Herr – er ist so blau –, ein Oldie, aber ein Goodie. Orli fragte: – Was passiert da? Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, wie viel Zeit uns blieb, ihn da rauszuholen, ich wusste nicht – er ist blau, er ist blau –, was die Krankenschwestern einander zuschrien, ich wusste nicht, was das rote Licht zu bedeuten hatte, das – er ist so blau –, das gerade an der Wand neben ihrem Bett aufgeleuchtet war, ich wusste nicht, wozu der Stahltisch gut war, der, den sie gerade hereingerollt hatten, der mit dem durchsichtigen Plastikkasten darauf – tut doch was – und den grauen Schläuchen und den gelben Schnüren, die darumgebunden und verknotet waren, als wäre das Ding gerade aus irgendeiner Gerätekammer gezerrt worden, die die meisten Schwestern noch nicht mal gesehen hatten, weil der Ernst einer Lage nur selten – tut doch was – den Grad erreicht, bei dem man so einen Apparat braucht, was für ein Apparat das auch war, und ich wusste nicht, warum – um Gottes willen, tut doch was – eine Schwester auf das Entbindungsbett stieg, und ich wusste nicht, warum sie Orli mit dem Knie aufs Becken drückte, und dann stöhnte Orli, und die Hebamme schüttelte den Kopf und setzte auch noch das zweite Knie auf Orlis Becken, und ich wusste nicht, was sie da tat, aber, Herrgott, sie hatte keine Scheißknie mehr, wenn Knie irgendeine Antwort sind, wir brauchen mehr Knie, denn meine zitterten zu stark, um zu etwas gut zu sein.
    – Hab ihn, rief die Hebamme. – Hab ihn, hab ihn, hab ihn, weiterpressen, weiterpressen, hab ihn, hab ihn.
    Ich wischte Orli den Schweiß von der Stirn, und ich lachte, und ich schloss die Augen und legte den Kopf an Orlis, und ich dachte an diesen Ausdruck, den, wie Gott wem immer einen Sohn schenkt, dachte, wie wenig es sich so anfühlte, wie sehr
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