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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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doch das Bankett war viel zu gefährlich. Wir erklommen wieder die Rampe, überquerten den Riverside Drive, liefen die 168th Street hinunter, bogen nach rechts zum Broadway ab und gingen weiter Richtung Innenstadt. Aus Washington Heights wurde Spanish Harlem, aus Spanish Harlem das eigentliche Harlem, aus dem eigentlichen Harlem die Upper West Side. Wir passierten den San Juan Car Service, den Puerto Rico Car Service und Transportes Satolino. Los Muchachos Grocery und das Lechonera La Isla Restaurant wichen Ben’s Kosher Deli, Benny’s Kosher Pizza und Benjy’s Kosher Falafel, und wir kämpften das Verlangen nieder, jedes Taxi anzuhalten, das vorbeifuhr. Alte Blasen platzten auf. Neue Blasen bildeten sich. Gott spähte herab, wartete, wartete.
    – Jetzt müssen sie aber auch verdammt noch mal gewinnen, grummelte ich.
    – Jetzt müssen sie aber auch verdammt noch mal gewinnen, pflichtete Orli bei.
    Die Erschöpfung überfiel uns auf der 59th Street. Wir sagten kaum noch etwas. Jeder Block war kilometerlang. Doch als wir die 42nd Street erreichten, zogen große Gruppen kreischender Eishockeyfans in Rangers-Farben klatschend und mit Presslufttröten den Broadway entlang. Taxis hupten im Rhythmus des »Let’s Go, Rangers«-Lieds. Wir zogen unsere Trikots an, setzten die Kappen auf und rannten los. Wir blieben erst wieder stehen, als wir im Garden drin waren und vor unseren Sitzen standen, auf halber Höhe, etwas links von der Mitte. Fast sofort flammte das Jumbotron auf. In fünftausend Kilometern Entfernung liefen die Rangers aufs Eis, und wir standen auf und johlten mit aller Kraft. In dieser gewaltigen Arena zu sein, umgeben von Tausenden von Menschen, die für Leute jubelten, die gar nicht da waren: ein größeres Gefühl der Zugehörigkeit hatte ich sehr lange nicht erlebt; es war wie in einer Synagoge – auch ein Ort, an dem die Leute für jemanden jubelten, der nicht da war –, aber mit Eishockey.
    Vierundfünfzig Jahre , dachte ich zu Gott, während ich klatschte und johlte und die Fäuste in die Luft reckte. Mach jetzt keine Zicken.
     
    Es war nicht mal knapp. Der Torhüter von Vancouver war nahezu perfekt und ließ im ganzen Spiel nur ein Rangers-Tor zu. Die Canucks hatten vier erzielt.
    – Es gibt immer noch ein siebtes Spiel, sagte Orli.
    Aber darum ging es ja gar nicht, oder? Ich hatte das dritte Spiel nicht gesehen. Ich war in kein Taxi gestiegen und auch in keinen Bus. Es ging darum, DASS WIR EINE ABMACHUNG HATTEN . Es ging darum, dass ich in einem Schtetl in New Jersey wohnte. Ich hatte es versucht, ich hatte es mit der ganzen verdammten Sache noch mal versucht, und wie viele Versuche gab Er mir? Sag mir, Gott , dachte ich, als ich da im Madison Square Garden saß, welche Grenze habe ich überschritten, welches unsinnige, undurchschaubare Gesetz habe ich gebrochen, was das rechtfertigte? Ja, ich hatte einen Rucksack getragen (Tragen, Kategorie 39). War das etwa Sein Ernst? Er konnte mich doch unmöglich kaputtmachen, nur weil ich etwas getragen hatte, verdammt. Ich war eine lange Strecke gegangen, das stimmte – es ist verboten, am Sabbat weiter als einen Kilometer aus der Stadt zu gehen –, aber Herrgott noch mal, ich hatte den Madison Square Garden doch nicht an die 34th Street gesetzt!
    – Das siebte Spiel seh ich mir nicht an, sagte ich.
    Orli seufzte. – Mach dich nicht lächerlich, sagte sie.
    Ich schaute zu Boden, brachte es nicht über mich, sie anzusehen, und überlegte, wie lange sie überhaupt noch mit mir sprach. Hatte Gott sie deshalb das erste Rangers-Spiel damals vor vielen Monaten überstehen lassen? Damit ich sie selbst vertreiben konnte? Hätten die Rangers am Abend gewonnen, dann wäre wenigstens mein Wahnsinn bestätigt worden. Aber jetzt, als der Garden sich leerte, hatte ich nichts.
    Schweigend fuhren wir mit dem Fahrstuhl hinunter. Was hatte ich mir dabei gedacht, bei diesem Kerl auf Risiko zu gehen? In Gottes Kasino gewinnt immer die Bank – fragen Sie Mose, fragen Sie Hiob, fragen Sie Sara –, und da saß ich nun am Blackjacktisch des Herrn und versuchte, die Karten zu zählen.
    – Was nun?, fragte Orli, als wir endlich draußen waren.
    Um uns herum sprangen Menschen in sabbatfreien Kleidern auf blasenfreien Füßen auf und nieder, schrien aufgeregt über das Spiel – Ist das eine Serie! – und machten Voraussagen für das siebte Spiel.
    Auf der anderen Straßenseite, ganz hinten an der Ecke 33rd Street, entdeckte ich den Hotdogverkäufer, mit dem ich am Tag
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