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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle
Autoren: Das fremde Kind
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OLLE LÖNNAEUS
     
    DAS FREMDE KIND
     
    Kriminalroman
     
    Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg
     
    Rowohlt Polaris
     
     
    PROLOG
     
    D rei Blitze
und drei Donnerschläge, dann kommt der Regen.
    Die ersten Tropfen fühlen sich auf
ihren Wangen an wie zarte Liebkosungen, als würde ein tröstender Gott ihr sanft
mit den Fingerspitzen übers Gesicht streichen.
    Sie legt den Kopf in den Nacken, reckt
sich gen Himmel.
    Der Regen fällt kühl auf ihre geschlossenen
Augenlider, das Wasser rinnt ihr in den Mund. Es schmeckt nach Eisen.
    Sie schluckt und leckt sich die Lippen,
immer wieder. Der Regen nimmt zu.
    Binnen kurzem erscheint es ihr, als
würden sich alle Wasser der Welt über das Flussufer ergießen, an dem sie steht.
Alles wird durchtränkt und mit einem grauen Schleier überzogen. Ihr Haar verwandelt
sich in Seegras. Das helle Kleid, zerrissen und fleckig, wird zu einem Segel. Der
Schmutz auf ihrer Stirn, auf Wangen und Hals, rinnt herab, und in ihrem Gesicht
zeichnet sich der Anflug eines Lächelns ab.
    Doch dann zuckt sie zusammen, als wäre
sie gerade aus einem Traum erwacht.
    Der Junge, denkt sie.
    Sie späht in die Dunkelheit, sucht
mit dem Blick die Weidelandschaft ab, dann die Hügelkette, und horcht in den Wald
hinein, durch den sie eben gerannt ist. Das Einzige, was sie hört, sind der Regen
und ihre eigenen keuchenden Atemzüge.
    Sie spürt ihr Herz gegen den Brustkorb
schlagen. Jemand ruft ihr zu, sie solle fliehen. Ist das ihre eigene Stimme? Lauf
weg, lauf, so weit du kannst! Aber sie hat einfach keine Kraft.
    Ihr Körper ist wie betäubt, die Beine
müde und schwer. Wo sollte sie auch hin?
    Erneut spaltet ein Blitz den Himmel,
heftiger Donner folgt unmittelbar. Aber die Frau, deren zierlicher Körper vor der
schwarzen Wasseroberfläche für einen Augenblick silbern aufleuchtet, rührt sich
kaum.
    Die Dunkelheit, denkt sie. Allein die
Dunkelheit ist mein Freund. Bald ist sie fort. Lauf los, bevor es zu spät ist!
    Doch ihr Körper lässt sie im Stich.
Die Beine wollen nicht gehorchen. Und ihr fällt auch kein Gebet ein, das ihr helfen
könnte, so verzweifelt sie auch nach Worten sucht. Der Himmel ist schwarzgrau, und
ein kühler Windhauch strömt langsam durch das langgezogene Tal.
    Unschlüssig wischt sie sich mit der
Hand das Wasser aus dem Gesicht. Dabei nimmt sie den Geruch von Blut wahr, eine
Erinnerung an das Böse.
    Der Hass. Der Ekel. Die unwiderrufliche
Tat.
    Das Messer trägt sie noch immer bei
sich. Das lange, schmale Küchenmesser, dessen Klinge mit Blut verschmiert ist. Sachte
führt sie es an ihren Hals und spürt die Verlockung. Es wäre so einfach.
    Sie hält inne und betrachtet die Schneide,
die nun vom Regen reingewaschen wird.
    Es wäre so feige.
    Dann fällt sie auf die Knie, plötzlich
von neuer Kraft erfüllt. Mit rissigen Händen gräbt sie im Sand, immer weiter.
    Schließlich wirft sie das Messer in
das Loch und bedeckt es dann rasch wieder mit Erde.
    Sie schaut sich ängstlich um.
    Der Junge, denkt sie. Muss mich beeilen.
    Der Regen, der kühle Regen, der Kraft
verleiht. Mit einem Mal hat sie den intensiven Wunsch zu leben. Niemals zu sterben.
    Noch bevor die Dämmerung die Wolken
vertrieben hat, ist sie verschwunden.
     
    KAPITEL 1
     
    D ie erste Hitzewelle
des Sommers ist drückend und erbarmungslos. Sie setzte Anfang Juni ein. Jetzt sind
Herman und Signe tot, und diese Nachricht hat Konrad Jonsson schlagartig in die
Vergangenheit zurückversetzt.
    «Du kannst uns Vater und Mutter nennen»,
sagten sie damals zu ihm. Meistens tat er das auch, aber nie fühlte es sich richtig
an. Doch all das ist lange her, und die Erinnerung daran verblasst.
    In Konrads Augen sind sie immer noch
recht jung, obwohl sie fast achtzig gewesen sein müssen, als sie starben. Herman,
der im Schlachthof arbeitete und immer fürchterlich stank, wenn er nach der Schicht
vom Darmauswaschen nach Hause kam. Jeden Abend half Signe ihm, sich sauber zu schrubben.
Dann strahlte er wie die Sonne mit seinen runden Apfelbäckchen. Herman war mit
den kleinen Dingen des Lebens zufrieden. Aber inzwischen ist der Schlachthof schon
seit vielen Jahren geschlossen.
    Und Signe, nie hörte man sie klagen,
auch wenn ihr die Knie und der Rücken schmerzten.
    Sie hatten beide so ihre Sorgen, Herman
und Signe. Das spürte Konrad früh, auch wenn nie darüber gesprochen wurde. Und er
begriff, was der Grund war. Klas, der leibliche Sohn, der unentwegt von einer Wolke
des Missmuts umgeben war.
    Ob er jetzt
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