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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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wiederholt geschnitten. Alisha ist eine Vorhaut und auch ihr Mann Will. Ich auch. Und auch Orli. Eine kleine Nation der Vorhäute, die, so gut sie kann, von neuem anfängt, aufbaut, weitergeht.
    Bald wurde es für Paix Schlafenszeit, und ich schaute ihn an in seinem Bettchen und dachte an Mose und an das Körbchen, in dem er gefunden worden war, im Schilf am Nilufer, und an die lebenslange Reise, die er zum Gelobten Land machte, ein Land Gottes, ein Land, das er nie ganz erreichte. Mein Gelobtes Land, auf dessen Suche ich mehr oder weniger dreißig Jahre lang herumgestolpert war, sollte eines ohne Gott sein, jedenfalls nicht mit dem, den ich kannte, und da wurde mir bewusst, dass auch ich, wie Mose, wahrscheinlich nie dorthin kam. Mein Sohn dagegen – der könnte eventuell die Chance haben.
    Und die Menschen freuten sich, das Gelobte Land zu sehen, in das sie gekommen waren, und sie sangen und tanzten und frohlockten, und Mose, das Gesicht im Sand und die Hand an der Brust, blickte auf und lächelte, als er seine Kinder so glücklich und so frei sah. Und der Herr sagte zu Mose: – Dies ist das Land, das ich verheißen habe. Ich habe es dich mit deinen Augen sehen lassen, aber du sollst nicht hinübergehen. Und Mose sagte: – Leck mich, und er starb dort in der Wüste, ein Lächeln auf dem Gesicht.
    Ich gab Paix einen Gutenachtkuss und ging wieder nach oben. Wir saßen oben im Wohnzimmer, nur Orli, ich, ein paar Flaschen Wein und einige unserer engsten Vorhäute, und redeten über unsere Familien, alle gebrochen, verbittert und streitsüchtig. Es war nach Mitternacht, als die Letzten aus dem Haus torkelten, und wir machten die Lichter aus und gingen ins Bett. Ich lag im Dunkeln, horchte auf Orlis Atem und dachte nach – über meinen Sohn, über meine Frau, über den Gedanken, den jemand am Abend geäußert hatte, dass das Gelobte Land womöglich gar kein geographischer Raum war, vor allem aber darüber, wie stumm das Babyfon während der letzten Minuten gewesen war. Zu stumm.
    Ich warf die Decke zurück, rannte nach unten und öffnete die Tür zum Zimmer meines Sohnes so leise, wie ich konnte. Paix hob den Kopf und lächelte.
    – Dada, sagte Paix.
    – Hallo, Kleiner, flüsterte ich. – Pscht. Schlaf jetzt.
    Ich schloss die Tür und seufzte und raste dann nach oben, zwei Stufen auf einmal nehmend, und stellte mir vor, das ganze Ding mit dem toten Kind sei eine Falle gewesen und Orli sei gestorben.
    Ich glaube an Gott.
    Es ist ein echtes Problem für mich.
    Orli regte sich, als ich hereinkam, und leise legte ich mich wieder ins Bett.
    – Nicht tot, oder?, murmelte sie.
    – Nein, flüsterte ich. – Und du auch nicht.
    – Gut. Morgen muss ich zu Ike.
    Sie grub das Gesicht ins Kissen und nahm meine Hand.
    – Die haben dich wirklich übel verarscht, sagte sie.
    Ich drückte ihre Hand, stellte das Babyfon lauter und versuchte zu schlafen.

 
     
     
    Wer getötet werden kann
     
     
    Die eine Sache, in der, wie ich herausgefunden habe, die meisten religiösen Menschen übereinstimmen – Juden, Christen, Moslems gleichermaßen –, ist die, dass sie, wenn man ihnen begegnet und sich ein wenig mit ihnen unterhält und beispielsweise sagt: – Gott ist ein Dreckskerl, eher negativ reagieren.
    Was ich überraschend finde.
    Weil sie mir doch selbst gesagt haben, dass Er einer ist. Sie haben mir alles über Ihn erzählt – über die Sintfluten, die Salzsäulen, die Tötungen, die Metzeleien, dass Er schnell erzürnt sei, aber auch voller Gnade, dass Er halsstarrig sei, aber auch nachsichtig, dass Er mit beängstigender Regelmäßigkeit an die Decke gehe – dass Er im Grunde ein Dreckskerl sei. Und ich habe ihnen geglaubt. Und glaube ihnen noch immer. Daher bitte ich Dich, Gott, bitte töte meine Frau nicht wegen dieses Buchs. Töte meinen Sohn nicht und auch nicht meine Hunde. Wenn Du unbedingt jemanden töten musst, dann Geoff Kloske von Riverhead Books. Töte Ira Glass von This American Life , und wo Du schon dabei bist, töte auch Julie Snyder und Sarah Koenig. Töte David Remnick vom New Yorker und töte Carin Besser, die nur ein paar Zimmer weiter sitzt. Töte Sara Ivry von Nextbook.org, und dann könntest Du auch gleich noch Jessa Crispin von Bookslut.com töten. Töte Craig Markus, weil er bei der Umschlaggestaltung geholfen hat, und töte Ike Herschkopf, wenn es unbedingt sein muss, aber töte nicht mich. Und töte auch nicht Orli. Und töte nicht unseren Sohn. Es ist doch bloß ein blödes Buch.
    Tut mir
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