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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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von der Seite an.
    – Kopf hoch , wimmert er.
     
    Am Nachmittag von Paix’ Geburtstag regnete es, aber nichts konnte meine Freude dämpfen. Ich war nach Manhattan zu Ike gefahren, schaute aber erst noch bei der Agentur herein.
    – Na?, sagte Craig. – Ein Jahr, hm?
    – Unfassbar, sagte ich und machte es mir auf seiner Couch gemütlich.
    – Und Paix?
    – Toll.
    – Und die Schreiberei?
    – Läuft gut. Hab seit Wochen nichts mehr gelöscht.
    – Freut mich für dich, sagte Craig.
    – Danke. Natürlich bin ich am Arsch.
    – Natürlich, sagte Craig. – Bestimmt brütet Gott schon was ganz Großes aus.
    – Ich schätze mal, was mit einer Explosion.
    – Was Entstellendes.
    – Wahrscheinlich.
    – Aber nichts Tödliches.
    – Nein.
    – So leicht ließe er dich nicht davonkommen.
    – Nein, nein. Erst brennt er mir das Gesicht weg und bestraft mich dann mit einem langen Leben.
    – Na, sagte Craig, – wenn’s dir was bedeutet, ich hoffe, Er bringt dich schnell um.
    – Du bist ein wahrer Freund, sagte ich.
    Meine Sitzung bei Ike war wie die einer siegreichen Mannschaft, die sich nach einem langen, schweren Spiel im Umkleideraum versammelt. Wie anders ich war als damals, als ich zehn Jahre davor zum ersten Mal seine Praxis betreten hatte. In dieser Zeit hatte ich mich von meiner destruktiven Familie gelöst und es gleichzeitig irgendwie geschafft, eine liebevolle eigene um mich herum aufzubauen. Orli und ich hatten einst befürchtet, unser Kind werde die Vergangenheit in die Gegenwart herüberziehen, und nun, am Nachmittag seines ersten Geburtstags, war klar, dass Paix genau das war, was wir gebraucht hatten, um ein für alle Mal in die Zukunft zu gehen.
    Ike lächelte und sagte, wie stolz er auf den Fortschritt sei, den ich in unserer gemeinsamen Zeit gemacht habe. Ich lud ihn zur Geburtstagsparty ein, auch wenn ich wusste, dass er es niemals rechtzeitig nach Woodstock schaffen würde.
    – Trotzdem danke, sagte Ike. – Wäre schön, wenn ich könnte. Heben Sie mir ein Stück Kuchen auf.
    Ich zeigte ihm die Botschaft, die der Bäcker auf den Kuchen malen sollte. Ike hob zweifelnd die Augenbrauen.
    – Und das alles soll daraufpassen?, fragte er.
    Als ich nach Hause kam, war Paix in der Einfahrt, patschte in Pfützen herum und hockte sich zu umgekippten Molchen.
    – Molk, sagte er. – Uh-oh.
    Ich ging hinein und versuchte, noch etwas geschrieben zu bekommen, bevor die Gäste kamen.
    – Dada!, rief er.
    Ich ignorierte ihn.
    – Dada!, rief er noch einmal.
    – Was?
    – Dada!
    – WAAAAS ?
    – DADA !, rief er.
    Er war ins Schlafzimmer gekommen und stand nun neben meinem Stuhl, den Kopf gereckt, um meine Aufmerksamkeit zu wecken. Es ist ein Spiel von uns – er ruft mich, und ich beuge mich über ihn und tue so, als riefe ich » WAAAAS ?«, so laut ich kann. Dann rennt er weg und ich jage ihn. Er wird einmal behaupten, er habe es erfunden, aber ich allein habe es mir ausgedacht.
    – Dada!, sagte er.
    – Was?
    – Dada!
    – WAAAAS ?
    Er lachte – ahhhh! – und rannte los, und ich klappte meinen Laptop zu, schob ihn unters Bett und lief hinter ihm her, sein irrer Lockenkopf verschwand schon in die Küche.
    – Warte … ich … KRIEG DICH !
    Gottes bislang miesester Trick.
     
    Orli ging in die Küche und rief alle zu Tisch. Ich hatte Paix auf dem Arm. Ich musste an das Opfer Isaak denken, das scharfe Messer lag so nah am Kind. Ich fragte mich, ob auch Abraham und Sara Geburtstagspartys für Isaak veranstaltet hatten. Ich stellte sie mir ziemlich so wie die Geburtstage meiner Jugend vor – Sara zündete Kerzen an und backte Brot, Abraham war irgendwo hinterm Zelt, reparierte Krüge oder machte etwas mit den Kamelen.
    – Schwanzlutscher, brummelte Abraham.
    Orli kam mit dem Kuchen herein, stellte ihn auf den Tisch und ging Teller holen.
    – Meine Güte, sagte mein Freund Jack.
    Alles Gute zum Geburtstag, Paix , stand auf dem Kuchen. Von Mommy, Daddy, Harley, Duke und sonst niemandem aus der Familie, weil das verbitterte Miesepeter sind, die uns lieber in den Morast ihres düsteren, tragischen Lebens ziehen würden, als einen Augenblick an unserem Glück teilzuhaben. Und viele weitere.
    – Wer möchte das »düstere«?, fragte Orli.
    – Gib mir das Stück mit dem »tragischen«, sagte Jack.
    Ich habe über die Menschen in meinem Leben nachgedacht, und zwar Folgendes: Ich finde, sie sind alle Vorhäute. Jack ist eine Vorhaut; seine Mutter hatte ihn brutal behandelt, ihn fallen gelassen, ihn
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