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Kampf um die Löwenburg

Kampf um die Löwenburg

Titel: Kampf um die Löwenburg
Autoren: Walter Thorwartl
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Tagtrume
    „He, Flo, hat’s der alte Katz wieder auf dich abgesehen? Musst du Schädel zählen?“
    Florian stand vor dem Biologieraum und grinste unglücklich. „Schaut so aus, Tom, aber er kann mich nur bis 4 Uhr quälen. Dann bin ich im Park, sehen wir uns dort?“
    „Okay, bis später!“ Tom verschwand die Stiege hinunter.
    „Super“, dachte Florian mürrisch, „und ich muss hier auf den Katzenbach warten.“ Er sah durchs Fenster den klaren Spätherbsthimmel. Ein Schwarm Dohlen kreiste über dem Feld neben der Schule. Florian blickte den Vögeln nach. Sie führten ihn in die Ferne, weit, weit weg von hier, geradewegs nach Elvenden, in sein Traumland.
    „Hallo, Flo, willst du Überstunden machen?“ Drei Mädchen aus der Nachbarklasse schlenderten vorbei. Florian zuckte mit den Achseln und deutete stumm auf die Tür der Bio-Kammer. Sie schnitten todtraurige Grimassen und kicherten. Florian wusste, dass sie ihn mochten, vor allem wegen der fantastischen Geschichten, die er zwischendurch vom Stapel ließ. Die Story vom Komodowaran, der in der Lagune von Koalarungu auf Menschen lauert, um sie zu verschlingen, hörten sie besonders gern. In seiner Erzählung hatte Florian dem sieben Meter langen Riesenreptil mit seinem rostigen Schwert eins zwischen die Augen verpasst, als es sich gerade auf eine ahnungslose Inselschönheit stürzen wollte. Dann hatte er dem überraschten Ungeheuer den grässlichen Schädel abgehackt, sodass sein schwarzes Blut auf die Beine des erschrockenen Mädchens spritzte. Das Schwert besaß einen mit Edelsteinen besetzten Knauf und stammte aus einem Piratenschatz. Florian hatte jeder seiner Zuhörerinnen eine durchlöcherte Kralle der Riesenechse geschenkt – schwarze Kunststoffröhrchen, von Florian sorgfältig zurechtgefeilt. Die Mädchen waren um ihn herumgetanzt, zum Rhythmus seiner Trommel, die Monsterklauen um den Hals.
    „Na, Florian, wieder in Bio geschlafen wie immer?“ Julians unangenehme Stimme riss ihn aus seinem Traum. Der große, massige Julian war immer schon eifersüchtig gewesen: Die Mädchen interessierten sich mehr für Florians Abenteuer als für Julians Geschichten über auffrisierte Mopeds. „Wird ein lustiger Nachmittag, was?“ Der Junge kam näher, ein spöttisches Grinsen auf den Lippen.
    „Julian, willst du nicht den schönen Nachmittag im Freien genießen?“ Der Bio-Lehrer Hans Katzenbach erlöste Florian, Julian zog rasch ab.
    „Ich bitte dich, die fehlenden Zeichnungen und das bisschen Text nachzuholen, dann kannst du nach Hause gehen. Und – lass das Handy abgeschaltet. Sei so gut, keine Musik und keine Tagträume, sonst wirst du niemals fertig mit deiner Arbeit. Wenn alles auf dem letzten Stand ist, kannst du gehen, klar?“ Hans Katzenbach verließ das Bio-Kabinett. Florian sah ihm gelangweilt hinterher. Was wusste der Bio-Onkel schon von seinen Träumen?
    Florian dachte wieder an Elvenden, an die ferne Welt der Ritter und Burgen, der Trolle, Elfen und Feen, die er in einem alten Fantasy-Buch seines Vaters kennen gelernt hatte. Er hatte das Buch verschlungen, und diese Welt hatte ihn nie wieder losgelassen. Immer wieder musste er daran denken, so oft, dass er sich dort bereits wie zu Hause fühlte. Nichts war in Elvenden wie hier in dieser schäbigen Knochenkammer, wie er den Bioraum nannte. Glaskästen voller Knochen, das war alles. Schädel von Hund, Katze, Fuchs, Dachs und Wiesel grinsten ins Leere, schnappten mit gelben Eckzähnen ins Nichts.
    Florian träumte sich viel lieber in die prachtvolle Löwenburg, die auf einem Felsen thronte und auf das Dorf hinunterblickte. Er fühlte sich als Herr der Löwenburg, er regierte und beschützte mit seinen tapferen Rittern sein Volk und sein Land, das den schaurigen Huldrewald umfasste bis hin zum gefährlichen Jammergebirge. Auch Teile der westlichen Hügel und der Ebene im Osten gehörten zu seinem Reich, dem wunderbaren Elvenden.
    In den Wäldern hausten die Elfen. Manche waren Freunde der Menschen und halfen ihnen bei der Feldarbeit, bei Krankheit und Unglück. Manche hingegen lebten zurückgezogen im Huldrewald und an den Hängen des Jammergebirges. Um sie rankten sich allerlei Sagen und Geschichten. Sie waren bei den Menschen gefürchtet, die Huldre, die Schwarzalben und die Knochentrolle.
    Florian wollte endlich Elfen begegnen! Er sah kurz zur Tür und schaltete sein Handy ein. Im Nu spielte er sein Lieblingslied ab, das so gut zur Löwenburg passte. Ein altes Lied, das er lieber nicht vor
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