Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
von einer leblosen Rüstung gehalten wurde, daß das Metall durch die Kleidung ins Fleisch eindrang und sich zwischen den Rippen einen Weg ins Körperinnere bahnte, war in der Tat ein unglaublicher Zufall. Der Winkel mußte absolut präzise gewesen, die Hellebarde felsenfest im Panzerhandschuh verkeilt, der Aufprall, wie er meinte, in der Tat sehr vehement gewesen sein. »Möglich wäre es schon. Ihn kannte ich nicht, aber seine Schwester ist groß, wenn auch ziemlich dünn. Vielleicht war er kräftiger gebaut als sie. Er war Soldat.«
    Major Tipladys Brauen schossen nach oben. »Ach ja?«
    »Ja. General, soweit ich weiß.«
    In des Majors Gesicht zuckte es amüsiert, was er nur schwer verbergen konnte, obwohl er sich der Geschmacklosigkeit einer solchen Gemütsregung durchaus bewußt war. In letzter Zeit hatte er einen Sinn für das Absurde entwickelt, der ihm zu denken gab. Er führte es darauf zurück, daß er fast ausschließlich im Bett lag, kaum etwas anderes tun konnte als lesen und sich zu oft in Gesellschaft einer Frau befand.
    »Was für ein Unglück«, sagte er, den Blick zur Decke gewandt. »Hoffentlich lassen sie nicht in seinen Grabstein meißeln, er hätte schließlich den Tod gefunden, indem er sich selbst mit einer Waffe pfählte, die in der Hand einer leeren Ritterrüstung steckte. Das wäre wahrhaftig ein Abstieg nach einer glänzenden Karriere beim Militär und hätte nun doch einen zu lächerlichen Beigeschmack. So etwas einem General!«
    »Ich finde es gar nicht so abwegig für einen General«, entgegnete Hester grimmig. Sie dachte an das eine oder andere Fiasko im Verlauf des Krimkriegs, wie zum Beispiel die Schlacht an der Alma; nachdem man die Männer zunächst in die eine, dann in die andere Richtung geschickt hatte, waren sie zu guter Letzt im Fluß in die Falle gegangen und zu Tausenden sinnlos gestorben. Und von Balaklawa ganz zu schweigen, wo die Elite der englischen Kavallerie, die »Light-Brigade«, ihren Angriff direkt in die Mündungen der russischen Gewehre gestartet hatte und wie Gras niedergemäht worden war. Diesen blutigen Alptraum mit den darauffolgenden Wochen voll unermüdlicher Arbeit, Hilflosigkeit und Seelenqual würde sie wohl nie vergessen.
    Thaddeus Carlyons Tod erschien ihr mit einem Mal bedauerlicher, wirklicher und zugleich weniger wichtig.
    Sie konzentrierte sich wieder auf den Major und begann die Decke über seinem Bein zu glätten. Er wollte protestieren, bemerkte jedoch ihren völlig veränderten Gesichtsausdruck und fügte sich wortlos in sein Schicksal. Unvermittelt war sie von der netten, tüchtigen jungen Frau, die er recht gern hatte, zur Lazarettschwester geworden, die sie noch vor kurzem gewesen war. Tag für Tag hatte sie dem Tod ins Gesicht gesehen, sich seiner Macht und Sinnlosigkeit grausam bewußt.
    »Er war General, sagen Sie?« Zwischen Tipladys Brauen bildete sich eine tiefe Furchte. »Wie war sein Name?«
    »Carlyon«, erwiderte Hester, während sie die Decke fest unter ihm einschlug. »Thaddeus Carlyon.«
    »Bei der indischen Armee?« fragte er und sagte dann, ehe sie antworten konnte: »Hab mal von einem Carlyon da draußen gehört. Ein harter Bursche, aber sehr beliebt bei seinen Leuten. Glänzender Ruf, soll niemals vor dem Feind gekniffen haben. Ich persönlich habe ja nicht viel für Generale übrig, trotzdem ist es ein Jammer, daß er auf diese Art sterben mußte.«
    »Es war ein schneller Tod«, gab Hester mit verzerrtem Gesicht zurück. Die nächsten Minuten machte sie sich mit größtenteils unwichtigen Handgriffen im Zimmer zu schaffen, doch ihre Bewegungen wirkten mechanisch, als käme ihr Ausharren in diesem Raum eher einer Gefangenschaft gleich.
    Endlich kamen der Tee und die Pfannkuchen. Als sie in den knusprigen, warmen Teig biß und die geschmolzene Butter von ihrem Mund wischte, damit sie nicht am Kinn hinunterlief, entspannte sie sich wieder und kehrte in die Gegenwart zurück.
    Sie lächelte Tiplady an.
    »Lust auf eine Partie Schach?« Sie war geschickt genug, ihm ein gutes Spiel zu liefern, ohne ihn zu schlagen.
    »O ja«, stimmte er begeistert zu. »Und wie!«
    Hester verbrachte ihre Freizeit in den folgenden Tagen wie versprochen mit der Erkundung von Ediths Sobells Möglichkeiten. Sie glaubte nicht, daß im Bereich der Krankenpflege etwas für sie zu finden war. Eine solche Tätigkeit hätte Edith vermutlich weder gefallen, noch wäre sie ihr überhaupt zugänglich gewesen. Krankenpflege wurde eher als Geschäft denn als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher