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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
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– es wurde sogar von ihnen erwartet. Sie wußte jedoch, daß er es nicht böse meinte, und hätte es unverzeihlich grausam gefunden, Anstoß an seiner Formulierung zu nehmen, wie sehr sie auch Ausdrücke wie ausgesprochen gut oder ganz reisend vorgezogen hätte. Auf ein wunderschön konnte sie ohnehin nicht hoffen. Imogen, ihre Schwägerin, war wunderschön – und ganz reizend obendrein. Das hatte Hester auf recht eindrucksvolle Weise feststellen müssen, als Monk, dieser unglückselige Polizist, ihr im vergangenen Jahr während der Geschichte am Mecklenburg Square mit Haut und Haaren verfallen war. Doch Monk war ein völlig anderes Thema, das nicht das geringste mit dem heutigen Nachmittag zu tun hatte.
    »Ich danke Ihnen, Major Tiplady«, erwiderte sie mit aller Anmut, zu der sie fähig war. »Und geben Sie bitte gut auf sich acht, während ich fort bin. Ich habe die Glocke in ihre Reichweite gestellt, falls Sie etwas brauchen sollten. Versuchen Sie ja nicht aufzustehen, ohne sich von Molly helfen zu lassen. Tun Sie es doch«, sie fixierte ihn mit todernstem Blick, »und fallen noch einmal hin, dürfen Sie höchstwahrscheinlich weitere sechs Wochen im Bett verbringen!« Diese Drohung war wesentlich effektiver als die Aussicht auf neuerliche Schmerzen, was sie sehr gut wußte.
    Er zuckte zusammen und stieß ein gekränktes »Ganz bestimmt nicht!« aus.
    »Gut!« Hester drehte sich um und ging, felsenfest überzeugt, daß er bleiben würde, wo er war.
    Sie winkte einen Hansom herbei und ließ sich die Great Titchfield Street hinunter über die Bolsover und Osnaburgh Street nach Clarence Gardens fahren, eine Strecke von etwa eineinhalb Kilometern. Um kurz vor vier kam sie an. Groteskerweise hatte sie das Gefühl, kurz vor der Offensivattacke bei einer Schlacht zu stehen. Sie mußte sich zusammennehmen. Das schlimmste, was ihr passieren konnte, war, in Verlegenheit zu geraten, und damit sollte sie eigentlich fertig werden. Was war das schließlich schon – ein akuter Anfall von gedanklichem Unwohlsein, mehr nicht. Weitaus besser als Schuldgefühle oder seelischer Schmerz.
    Sie atmete tief durch, streckte die Schultern, marschierte die Stufen zur Haustür hinauf und zerrte bei weitem zu heftig am Klingelzug. Dann trat sie hastig einen Schritt zurück, um nicht direkt auf der Schwelle zu stehen, wenn die Tür aufging.
    Was fast im selben Moment geschah. Ein hübsches Dienstmädchen blickte ihr mit ansonsten ausdrucksloser Miene fragend ins Gesicht.
    »Sie wünschen, Ma’am?«
    »Miss Hester Latterly. Ich glaube, Mrs. Sobell erwartet mich.«
    »O ja, das tut sie, Miss Latterly. Bitte treten Sie ein.« Die Tür öffnete sich ganz, und das Mädchen trat beiseite, um Hester vorbeizulassen. In der Halle nahm sie ihr Haube und Umhang ab.
    Die Halle war genauso gewaltig, wie Hester erwartet hatte. Die Eichenholztäfelung erreichte eine Höhe von fast zweieinhalb Metern und war mit düsteren Porträts bedeckt, die in vergoldeten Bilderrahmen mit Laubverzierung und allerlei Schnörkeln steckten. Sie schimmerten im Schein des Kronleuchters, der trotz der frühen Stunde brannte, weil der Raum durch das viele Holz in dämmriges Halbdunkel getaucht lag.
    »Wenn Sie mir bitte folgen wollen…«, sagte das Mädchen und schritt vor ihr über das Parkett. »Miss Edith ist im Boudoir. In einer halben Stunde wird der Tee serviert.« Mit diesen Worten führte sie Hester die breite Treppe hinauf zu einem Wohnzimmer im ersten Stock, das ausschließlich den Damen des Hauses vorbehalten war und infolgedessen Boudoir genannt wurde. Sie öffnete die Tür und kündigte Hester an.
    Edith starrte durchs Fenster auf den Platz hinaus. Sobald sie Hesters Namen hörte, drehte sie sich mit freudiger Miene um. Sie trug ein schwarz eingefaßtes, pflaumenfarbenes Kleid. Die Krinoline war recht schmal, und Hester schoß augenblicklich durch den Kopf, um wieviel vorteilhafter das aussah – ganz zu schweigen davon, um wieviel praktischer es war, als ständig ungeheure Stoffmassen und eine Unmenge starre Reifen durch die Gegend schwingen zu müssen. Vom Zimmer selbst bekam sie, abgesehen von einem ausgesprochen hübschen Rosenholzschreibpult an der Stirnwand sowie einer Dominanz von Rosa und Gold, nicht viel mit. Es fehlte ihr die Zeit dazu.
    »Ich bin so froh, daß du gekommen bist!« sagte Edith rasch.
    »Außer den Neuigkeiten, die du vielleicht mitbringst, muß ich unbedingt mal wieder über normale Dinge mit jemanden sprechen, der nicht zur Familie
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