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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Als sie den Vorraum des Juno Revolving Restaurants betrat und sich interessiert umblickte, fiel sie nicht mehr auf als all die anderen Gäste, die mit dem Lift hinauf in das 26. Stockwerk gefahren waren, um in Kowloons berühmtem gläsernem Luxustreffpunkt vorzüglich zu speisen, exzellent zu trinken und dabei einen unvergleichlichen Blick über Kowloon, Hongkong und die New Territories zu werfen – über Millionen Lichterketten, schimmernde Wasserflächen, Tausende von Dschunken und Sampans, Hochhäuser und Elendshütten, über breite Avenuen und enge, verwinkelte Gassen, Parks und Felsabbrüche, über ein buntes Meer von Leuchtreklamen … und die weite Dunkelheit, die sich hinüberzog zur rotchinesischen Grenze. Ein atemberaubendes Bild hier oben im Hochhausrestaurant in der Nathan Road Nummer 655; man vergaß es nicht für den Rest seines Lebens. Einmal in sechzig Minuten drehte sich der gläserne Palast auf dem Dach um seine Achse, und während man frischen Hummer, flambiert mit Whisky und garniert mit Kaviar, oder raffiniert gefüllte Fasane mit Bordeauxsauce und Weintrauben aß, lag einem die wundervollste Stadt dieser Erde zu Füßen, eine Stadt von heute und übermorgen und dabei Tausende von Jahren alt, immer geheimnisvoll bleibend bei aller modernen Offenheit: Hongkong!
    Eine Stadt, die man mit all ihren Facetten nicht mehr zu erfassen, nicht mehr zu begreifen vermag. Eine Stadt, die das Wunder des menschlichen Daseins widerspiegelt: So tausendfach anders, verschieden, unbegreiflich kann man leben!
    Die junge Frau wurde von den Empfangshostessen begrüßt, ließ sich den mit Goldfäden durchwirkten Abendmantel abnehmen, sah kurz in den Spiegel und ordnete mit drei Handbewegungen ihre fast schulterlangen, tiefschwarzen Haare. Sie war eine jener wunderschönen chinesischen Mischlinge, bei denen das Asiatische noch das Europäische überwiegt – größer als gemeinhin die Chinesinnen, schlank und doch mit einem Körper von jener sanften und vollendet deutlichen Formung, die Männer zu erregenden Phantasien anregt. Die Mandelaugen in dem schmalen Gesicht waren so schwarz wie ihr Haar, der Mund vollippig und sinnlich geschwungen. Wie sie jetzt im Foyer des Juno Revolving Restaurants stand, in einem engen flaschengrünen Abendkleid mit goldenen und silbernen, stilisierten Drachen- und Fabelwesenapplikationen, eine goldene Paillettentasche am linken Unterarm, war sie genau die Kategorie Gast, die man hier im Juno erwartete und für angemessen hielt.
    Einer der Restaurantdirektoren kam auf sie zu, verbeugte sich leicht, blickte sich diskret um und fragte dann: »Madam sind allein? Ein Platz? Hatten Sie reserviert, Madam? Ich fürchte, alle Fensterplätze …«
    Die Frau lächelte ihn an, etwas verträumt, ja fast abwesend. Es schien, als lächle sie durch ihn hindurch. Dann ging sie an dem verblüfften Restaurantdirektor vorbei, betrat den riesigen gläsernen Raum und schritt langsam, als sei sie sich ihrer Wirkung voll bewußt, den äußeren Rundgang hinunter.
    »Madam!« sagte der Direktor höflich hinter ihr. »Ich hätte noch einen Tisch in der zweiten Reihe … Wenn Sie mir bitte folgen würden …«
    Sie reagierte gar nicht darauf, ging weiter und blieb vor einem Tisch stehen, einem sehr begehrten Vierertisch an der Glasfront, an dem vier Gäste saßen. Drei gehörten zusammen; es waren französische Touristen: Monsieur Jean-Claude Rivère, Madame Marie Rivère und der Bruder von Madame, Monsieur Louis Chamfort. Sie waren am Vormittag in Hongkong gelandet, wohnten hier in Kowloon im Feinsten vom Feinen, hatten es aber auf Ratschlag eines früheren Hongkong-Reisenden vorgezogen, im Juno Revolving statt im Gaddi's, dem Gourmettempel im Peninsula Hotel, zu essen – vor allem wegen des in der Welt wohl einmaligen Rundblicks.
    Der vierte Gast am Tisch war ein bulliger Mann mit ergrauten Haaren, trank Weißwein zu Hasenfilet – was einem Franzosen Übelkeit verursachen würde – und hatte zwischen dem zweiten und dritten Gang des Dinners ein langes, mexikanisches Zigarillo geraucht, was Madame Rivère mit heruntergezogenen Mundwinkeln und stummem Protest zur Kenntnis nahm.
    Der Mann trug einen maßgeschneiderten Smoking, nur paßte dazu nicht die silberschillernde, blütengemusterte Brokatweste, die er darunter hervorblitzen ließ. Sein Englisch war breit und kauend, was sofort die Vermutung aufkommen ließ, daß er Amerikaner war. Vorgestellt hatte man sich am Tisch nicht … eine Bekanntschaft von
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