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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
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sagte Edith mit wachsendem Unbehagen. »Aus Damaris war kaum ein vernünftiges Wort herauszukriegen. Ich habe sie noch nie so… so völlig kopflos erlebt. Sogar Peverell schaffte es nicht, sie zu beruhigen – sie hörte ihm nicht mal zu.«
    »Vielleicht hatten die beiden…« Hester sann nach einer freundlichen Umschreibung. »Unterschiedliche Ansichten? Ein Mißverständnis womöglich?«
    Edith verzog belustigt den Mund. »Wie nett formuliert. Du meinst, ob sie Krach miteinander hatten? Das bezweifle ich. Dafür ist Peverell nicht der Typ. Er ist ein ganz reizender Mensch, außerdem ziemlich verrückt nach ihr.« Sie schluckte wieder und lächelte in einem unvermittelten Anflug von Traurigkeit, als würde sie flüchtig an andere Dinge, vielleicht andere Menschen erinnert. »Er ist nicht im geringsten schwach«, fuhr sie fort. »Früher glaubte ich das, aber er hat einfach eine ganz bestimmte Art, mit ihr umzugehen, und sie kommt normalerweise immer wieder zu sich – letzten Endes. Wesentlich befriedigender, als die Leute herumzukommandieren. Zugegeben, er ist nicht gerade ein Ausbund an Leidenschaft, aber ich mag ihn – je länger ich ihn kenne, desto mehr. Und ich glaube, Damaris geht es nicht anders.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich weiß noch genau, in welchem Zustand sie an diesem Abend war. Ich glaube nicht, daß Peverell etwas damit zu tun hatte.«
    »Was hat sie gesagt, wo sich die restlichen Personen aufhielten? Thaddeus – entschuldige, ich meine natürlich General Carlyon stürzte über das Geländer im ersten Stock beziehungsweise wurde hinuntergestoßen. Wo waren die anderen in dem Moment?«
    »Hier und dort«, erwiderte Edith resigniert. »Es ist mir nicht gelungen, mir einen Reim darauf zu machen. Vielleicht kannst du es. Ich habe Damaris gebeten, sich zu uns zu setzen und uns zu erzählen, woran sie sich erinnert. Aber sie scheint seit dem besagten Abend leider nicht mehr zu wissen, was sie tut.«
    Hester hatte Ediths Schwester zwar noch nicht kennengelernt, jedoch schon eine Menge über sie gehört. Entweder war sie seelisch nicht besonders stabil und in gewisser Weise undiszipliniert oder aber ungerecht beurteilt worden.
    Wie um alle Gerüchte über sie Lügen zu strafen, tat sich in dem Augenblick die Tür auf, und eine der atemberaubendsten Frauen, die Hester je gesehen hatte, stand auf der Schwelle. In diesem ersten Moment wirkte sie sagenhaft schön, groß – größer noch als Edith oder Hester, und sehr schlank. Ihr dunkles, von Natur leicht gewelltes Haar entsprach ganz und gar nicht der gegenwärtigen Manier, nach der es streng aus dem Gesicht gekämmt getragen wurde, ein oder zwei Ringellöckchen über den Ohren. Ihr Modebewußtsein schien ohnehin nicht stark ausgeprägt. Der Rock war eher zweckdienlich, etwas, in dem man arbeiten konnte, und wurde nicht durch die üblichen Reifen verunstaltet. Ihre Bluse war allerdings wunderschön bestickt und mit einem weißen Seidenband verwoben. Sie hatte etwas Jungenhaftes an sich, wirkte weder kokett noch geziert, einfach unglaublich offen. Ihr Gesicht war länglich, ihre Züge derart beweglich und reaktionsfreudig, daß sie jeden ihrer Gedanken widerspiegelten.
    Sie trat in den Raum, schloß die Tür hinter sich und blieb einen Moment lang mit auf dem Rücken verschränkten Händen dagegengelehnt stehen. Ihr Blick ruhte mit unverhohlenem Interesse auf Hester.
    »Sie sind also Hester Latterly?« fragte sie, obwohl die Frage eindeutig rhetorisch gemeint war. »Edith hat bereits angekündigt, daß Sie heute nachmittag kommen würden. Schön, daß Sie da sind. Seit sie mir erzählt hat, daß Sie mit Miss Nightingale auf der Krim waren, brenne ich darauf, Sie kennenzulernen. Sie müssen unbedingt noch einmal herkommen, wenn wir uns wieder gefaßt haben, und uns alles darüber berichten.« Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht.
    »Mir jedenfalls. Papa hat vermutlich nichts dafür übrig und Mama wahrscheinlich auch nicht. Viel zu unabhängig, so was. Erschüttert die Grundfeste der Gesellschaft, wenn Frauen nicht wissen, wo ihr Platz ist – zu Hause am Herd natürlich, um für den Rest für uns die Zivilisation aufrechtzuerhalten.«
    Sie schlenderte zu einem kleinen Rokokosofa und ließ sich ausgesprochen lässig hineinplumpsen. »Indem sie dafür sorgen, daß wir uns auch schön jeden Tag die Zähne putzen; unseren Reisauflauf essen, uns richtig ausdrücken, niemals die Infinitive durcheinanderschmeißen, eine steife
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