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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
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Beruf betrachtet, und die meisten Männer und Frauen, die in diesem Bereich arbeiteten, kamen aus einer niedrigen sozialen Schicht und besaßen eine äußerst fragwürdige Bildung; dies wiederum führte dazu, daß sie mit geringem Respekt und entsprechend schlechter Bezahlung belohnt wurden. Wer indes mit Miss Nightingale – die man mittlerweile als Heldin der Nation feierte und beinah so sehr verehrte wie die Queen – auf der Krim gewesen war, hatte einen völlig anderen Status, aber in diesem Sinne konnte Edith sich jetzt nicht mehr qualifizieren. Selbst Hester, die diesbezüglich bestimmt hochqualifiziert war, fand nur schwer eine Anstellung und mußte immer wieder feststellen, wie wenig Wert man auf ihre Meinung legte.
    Doch es existierten noch andere Betätigungsfelder, besonders für jemanden wie Edith. Sie war intelligent und belesen, sowohl in englischer als auch in französischer Literatur. Sicher ließ sich ein vornehmer Herr auftreiben, der eine Bibliothekarin oder Assistentin suchte, um für ihn das Wissensgebiet zu erforschen, das gerade seine Aufmerksamkeit fesselte. Es gab immer jemanden, der eine Abhandlung oder eine Monographie verfassen wollte und einen wortgewandten Gehilfen brauchte, der die Ideen in lesbare Form brachte.
    Die meisten Frauen, die eine Gesellschafterin aus gutem Hause suchten, waren unerträglich schwierig und brauchten im Grunde nur eine Abhängige, die sie nach Belieben herumkommandieren konnten – weil eventueller Protest der Betroffenen außer Frage stand. Dennoch gab es Ausnahmen; Damen, die gern reisten, zum Beispiel, dies aber nicht allein tun wollten. Manche dieser furchteinflößenden Matronen konnten ausgezeichnete Arbeitgeberinnen sein, die über jede Menge Interessen und Persönlichkeit verfügten.
    Außerdem bestand die Möglichkeit des Unterrichtens – eine in höchstem Maße lohnenswert Angelegenheit, sofern die Schüler wißbegierig und intelligent genug waren.
    Hester lotete all diese Bereiche zumindest so weit aus, daß sie Edith etwas Definitives berichten konnte, wenn sie sich am zweiten Mai zum Tee bei den Carlyons einstellen würde.
    Major Tipladys Wohnung lag am südlichen Ende der Great Titchfield Street, also ein gutes Stück vom Haus der Carlyons in Clarence Gardens entfernt. Wäre sie zu Fuß gegangen, hätte sie fast eine halbe Stunde gebraucht und sich schließlich überhitzt und in vermutlich halb aufgelöstem Zustand bei ihren Gastgebern eingefunden. Und die Aussicht auf eine Tasse Tee mit der älteren Mrs. Carlyon machte sie mehr als nur ein bißchen nervös, wie sich Hester mit einem Anflug von Sarkasmus eingestehen mußte. Es hätte ihr weniger ausgemacht, wäre Edith nicht ihre Freundin gewesen, denn dann würde sie keinerlei emotionellen Schaden davontragen, gleich ob Erfolg oder Mißerfolg. Wie die Situation allerdings war, hätte sie lieber einer Nacht im Militärlager vor Sewastopol entgegengeblickt als dieser prekären Verabredung.
    Da es sich jedoch nicht mehr ändern ließ, schlüpfte sie in das beste Musselinkleid, das sie besaß. Es war nicht gerade umwerfend, aber es war gut geschnitten, hatte eine betonte Taille und ein hübsch plissiertes Oberteil; nicht ganz der letzte Schrei, doch das würde ohnehin nur einer dieser Modepuppen auffallen. Das Manko lag einzig und allein auf dem Gebiet der Zutaten, und eine Krankenschwester konnte sich keinen großen Luxus leisten. Als sie sich von Major Tiplady verabschiedete, machte der jedenfalls einen recht begeisterten Eindruck. Von Mode hatte er nicht die geringste Ahnung, ganz abgesehen davon, daß außergewöhnlich schöne Frauen ihm sowieso eher angst machten. Er fand Hesters ausgeprägte Gesichtszüge überaus ansprechend und hatte auch an ihrer sowohl etwas zu großen wie auch ein wenig zu dünnen Statur nicht das mindeste auszusetzen. Sie bedrohte ihn nicht mit aggressiven weiblichen Formen, außerdem funktionierte ihr Verstand beinah wie der eines Mannes, was ihm sehr gefiel. Er hätte niemals für möglich gehalten, daß eine Frau eine Art Freund werden konnte, und hatte sich eines Besseren belehren lassen müssen. Eine Erfahrung, die ihm in keiner Weise zuwider war.
    »Sie sehen wirklich… schmuck aus«, meinte er mit leicht geröteten Wangen.
    Aus jedem anderen Mund hätten diese Worte sie auf die Palme gebracht. Sie verspürte nicht den leisesten Wunsch, schmuck auszusehen; Hausmädchen waren schmuck und auch von ihnen nur die jüngeren. Selbst Stubenmädchen durften hübsch sein
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