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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
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wiederaufgenommen haben, aber du kommst schließlich als Freundin. Dagegen kann niemand etwas sagen.«
    »Gut, ich werde kommen. Vielen Dank.«
    Ediths Augen weiteten sich einen Moment, wodurch sich ihre Miene sichtlich erhellte, dann drückte sie kurz Hesters Hand und machte auf dem Absatz kehrt. Sie verschwand zwischen den leuchtenden Narzissen in Richtung Pavillon, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Hester ging noch eine halbe Stunde spazieren und genoß die milde Frühlingsluft. Dann erst kehrte sie zur Straße zurück, um einen Hansom anzuhalten, der sie wieder zu Major Tiplady und ihren Pflichten bringen sollte.
    Der Major saß, wie immer widerstrebend, auf einer Chaiselongue. Seiner Ansicht nach war dieses Möbelstück bei weitem zu weibisch, andererseits liebte er es aber, die Fußgänger vor dem Fenster beobachten und gleichzeitig das verletzte Bein hochlegen zu können.
    »Na?« fragte er, sobald Hester das Zimmer betrat. »War der Spaziergang schön? Wie geht es Ihrer Freundin?«
    Hester strich mechanisch seine Decke glatt.
    »Lassen Sie das Gefummel!« fuhr er sie heftig an. »Ich warte auf eine Antwort. Sie waren doch mit einer Freundin verabredet, oder nicht?«
    »Ja, das war ich.« Hester versetzte dem Kissen einen demonstrativen Knuff, damit es wieder in Form kam, wohl wissend, daß er hartnäckig ihren Blick suchte. Die Situation war typisch für das neckische Scharmützel zwischen ihnen, das sie beide sehr genossen. Seit er entweder an sein Bett oder einen Stuhl gefesselt war, machte ihm nichts soviel Spaß, wie Hester zu provozieren, und er hatte mittlerweile beträchtlichen Gefallen an ihr gefunden. Da er den größten Teil seines Lebens in der Gesellschaft von Männern verbracht und immer wieder zu hören bekommen hatte, das weibliche Geschlecht wäre in jeder Hinsicht anders und bedürfe einer Behandlung, die eben nur ein einfühlsamer Mann verstehen könne, machten ihn Frauen für gewöhnlich nervös. Doch zu seinem Entzücken mußte er feststellen, daß Hester intelligent war, nicht zu Ohnmachtsanfällen neigte oder sich grundlos beleidigt fühlte, nicht ununterbrochen auf der Lauer nach Komplimenten lag und sich sogar für Kriegsstrategien interessierte – ein Segen, den er nach wie vor kaum fassen konnte.
    »Und wie geht es ihr?« wiederholte er scharf, während er sie aus leuchtenden, hellblauen Augen wütend anfunkelte und sich sein weißer Schnurrbart zu sträuben begann.
    »Nicht gut«, erwiderte Hester. »Möchten Sie Tee?«
    »Warum?«
    »Weil Teezeit ist. Pfannkuchen auch?«
    »Ja, bitte. Warum geht es ihr nicht gut? Was haben Sie zu ihr gesagt?«
    »Daß es mir sehr leid tut.« Hester, die mit dem Rücken zu ihm stand, griff feixend nach dem Klingelzug. Das Zubereiten von Speisen gehörte nicht zu ihren Aufgaben – Gott sei Dank, denn auf diesem Gebiet war sie nicht allzu bewandert.
    »Weichen Sie mir nicht aus!« rief er hitzig. Hester läutete, wandte sich wieder zu ihm um und setzte eine nüchterne Miene auf. »Ihr Bruder hatte gestern abend einen tragischen Unfall. Er fiel über das Treppengeländer und war auf der Stelle tot.«
    »Großer Gott! Sind Sie sicher?« Sein Gesicht wurde augenblicklich ernst. Wie üblich wirkte die blaßrosa Haut wie frisch geschrubbt und makellos. »Ja, absolut. Leider.«
    »War er Trinker?«
    »Ich glaube nicht, jedenfalls kein exzessiver.« In dem Moment tauchte das Mädchen auf. Hester bestellte Tee und warme Pfannkuchen mit Butter. Als sie wieder gegangen war, fuhr Hester fort: »Er prallte auf eine Ritterrüstung. Die Hellebarde bohrte sich fatalerweise mitten in seine Brust.«
    Tiplady starrte sie entgeistert an. Offenbar war er immer noch nicht sicher, ob sie sich nicht nur auf seine Kosten einen bizarren weiblichen Scherz erlaubte. Doch dann kam er zu dem Schluß, daß der Ernst in ihrem Gesicht echt war.
    »Du meine Güte. Wie entsetzlich.« Er runzelte die Stirn. »Sie dürfen mir nicht übelnehmen, daß ich anfangs an Ihren Worten gezweifelt habe. Was für ein grauenhafter Zufall!« Er zog sich ein wenig auf der Chaiselongue hoch. »Haben Sie eine Vorstellung, wie schwierig es ist, einen Menschen mit einer Hellebarde aufzuspießen? Er muß mit unglaublicher Wucht daraufgefallen sein. War er überdurchschnittlich groß?«
    »Das weiß ich nicht.« Sie hatte bisher noch nicht drüber nachgedacht, mußte sich seinem Urteil nun aber anschließen. Mit solcher Heftigkeit und derart zielsicher so auf die Spitze einer Hellebarde zu fallen, die
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