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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten
Autoren: Wilhelm Teufel
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EIN SCHWÄBISCHER IDEALIST
     
     
    In den sechziger und siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts sah man durch die Gassen der alten, ehrwürdigen
Reichsstadt Schwäbisch Gmünd des öfteren einen kleinen, rundlichen Herrn mit
großer Brille im freundlichen, glattrasierten Gesicht, nie ohne schwarzen
Gehrock und Zylinder, den Arztstock mit elfenbeinernem Griff unter den Arm
geklemmt, mit Schnupftabaksdose und geblümtem seidenen Taschentuch von
ansehnlichem Ausmaß bewaffnet, eilig seinem Beruf nachgehen.
    Dieser Herr hieß Georg
Friedrich Müller und hatte sich 1860, schon 56 Jahre alt, als
praktischer Arzt in Gmünd niedergelassen. Manche hielten ihn für einen Kauz,
weil er viel mit Wasserkuren arbeitete und sich »Homöopathischer Arzt« nannte.
Die wenigsten wußten, daß er sein eigentliches Lebenswerk schon hinter sich
hatte. Als bescheidener und selbstloser Mann war er in Gmünd bald wohl
gelitten, auch bei seinen katholischen Mitchristen, die die überwiegende
Mehrheit bildeten. Dem jederzeit Hilfsbereiten kam es nicht darauf an, Arme
kostenlos zu behandeln, wenn sie willig waren, seine Ratschlage zu befolgen und
seine ärztlichen Vorschriften einzuhalten. Es sprach sich bald herum, daß er
nicht auf Rosen gebettet war, hatte er doch ein Häuflein Kinder zu ernähren, um
deretwillen er wohl von Winterbach im Remstal nach Gmünd gezogen war. Als er
nach 21 Jahren, vom Schlag getroffen und erblindet, die Stadt verließ, war er
um keinen Pfennig reicher geworden. »Der Müller ist halt ein Idealist«,
pflegten seine Kollegen mitleidig lächelnd von ihm zu sagen. Sie hatten recht,
auch wenn sie nicht wußten, was für Idealen er in seinem Leben nachgejagt war.
    Dieser merkwürdige Mann war
nicht etwa bloß ein schwäbischer Eigenbrötler und Spintisierer, sondern ein
Mann mit weltweiten Interessen und großem Wissen, auch wenn er nie damit auf
trumpfte. Er schrieb damals gerade an einem großen Buch über Ostindien und
hatte schon vor Jahren seine Gedanken über die »Entstehung des
Menschengeschlechts« in einer Schrift niedergelegt. Vor allem aber war er einer
von den »Stillen im Lande«, ein heimlicher Jünger Jesu, der sich vorgenommen
hatte, den Menschen in aller ihrer leiblichen und geistigen Not zu helfen.
    Am 26. Juli 1804 in Simmozheim
bei Weilderstadt als Sohn eines Bierbrauers geboren, zeigte er sich bald als
ein aufgeweckter Bub, der sich schon früh allerhand Gedanken über die Welt
machte. Er wuchs gerade in die Zeit der napoleonischen Kriege und der großen
Hungersnot, die sie im Gefolge hatten, hinein.
    Georg Friedrichs Vater zog
später nach Tübingen, wo der begabte Sohn studieren durfte. Er wählte das
medizinische Studium, weil er den Menschen helfen wollte. Daneben aber sah er
sich auch ein wenig in der Theologie um, und manchmal träumte er davon, wie
schön es wäre, als Arzt den Heiden in Indien oder Afrika beizustehen.
    Daraus wurde jedoch nichts. Im
Mai des Jahres 1830 heiratete er in Tübingen Johanna Wacker, die Tochter eines
Schneidermeisters, die ihm zwölf Kinder schenkte, von denen nur sieben am Leben
blieben.
    Sein ärztliches Wirken begann
er als Medizinalpraktikant in Metzingen. Doch kehrte er bald nach Tübingen
zurück, wo die Eltern und Schwiegereltern lebten und wo er hoffte, neben seiner
ärztlichen Tätigkeit wissenschaftlich arbeiten zu können. Aber den Gedanken,
den Heiden Hilfe zu bringen, gab er nicht gänzlich auf. Im Jahre 1841 gründete
er, zusammen mit theologischen Freunden, das »Missionsmedizinische Institut«.
Ohne es zu wissen, wurde er so einer der Väter der ärztlichen Mission. In
diesem Institut, das seinen Sitz in seinem eigenen Haus hatte, wurden in den
Jahren 1841 bis 1848 drei Missionsärzte ausgebildet, zu einer Zeit, in der man
in Tübingen und anderswo sich die Köpfe heiß redete über Demokratie, Freiheit
und Brüderlichkeit und keine Lust hatte, darüber nachzudenken, daß es
vielleicht die Aufgabe des alten Europa sein könnte, die ärztliche Kunst des
weißen Mannes denen zugute kommen zu lassen, die irgendwo in der weiten Welt,
in alten und neuen Kolonien der Europäer, elend zugrunde gingen.
    Weil Georg Friedrich Müller
aber der Weg nach draußen versperrt war und er mit Schrecken sah, daß in der
Heimat die Gemüter sich immer mehr erhitzten, suchte er sich Kenntnisse und
Fähigkeiten zu erwerben, um sich derer annehmen zu können, die im eigenen Land
als Last für ihre Umgebung ohne Hilfe dahinvegetierten, nämlich der
Geisteskranken
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