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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
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Hände umklammerten die Brüstung, ihr Körper begann zu wanken. Die Menge gab ein gedehntes Zischen von sich, es war ein scheußlicher Laut, randvoll mit Haß.
    Lovat-Smith stand auf.
    Randolf Carlyon würgte einen dumpfen Schrei hervor und lief dunkelrot an. Er begann zu röcheln, woraufhin seine rechten und linken Nachbarn entsetzt und ohne jedes Mitleid von ihm abrückten. Ein Gerichtsdiener ging zu ihm und lockerte ihm unsanft die Krawatte.
    Rathbone hatte nicht die Absicht, den Moment ungenutzt verstreichen zu lassen.
    »Genau das ist es, was Sie getan haben, nicht wahr, Mrs. Carlyon? Sie besorgten Ihrem Mann ein anderes Kind.
    Vielleicht sogar eine ganze Serie Kinder – bis Sie ihn endlich für zu alt hielten, um noch eine Gefahr zu sein. Aber Ihren Enkelsohn haben Sie nicht beschützt. Sie ließen zu, daß auch er mißbraucht wurde. Warum, Mrs. Carlyon? War der Ruf Ihrer Familie all die Aufopferung, so viele zerstörte Kinderseelen wirklich wert?«
    Sie beugte sich ihm über die Brüstung entgegen und schleuderte ihm ihren Haß ins Gesicht.
    »Ja! Ja, Mr. Rathbone, er war es wert! Was hätte ich Ihrer Ansicht nach tun sollen? Meinen Mann der öffentlichen Demütigung ausliefern? Eine glänzende Karriere zerschlagen? Einen Mann vernichten, der andere gelehrt hat, im Angesicht des Feindes nicht den Mut zu verlieren, der erhobenen Hauptes in die Schlacht zog, egal wie aussichtslos es schien, der andere inspiriert hat, über sich hinauszuwachsen? Und weswegen? Wegen eines Triebes? Männer haben nun einmal Triebe, das war schon immer so. Was hätte ich tun sollen – es in die Welt hinausschreien?« Ihre Stimme bebte vor leidenschaftlicher Verachtung. Das Ziehen und Zähnefletschen in ihrem Rücken ließ sie vollkommen kalt.
    »Wem hätte ich es überhaupt erzählen können? Wer hätte mir geglaubt? Wo wäre ein Platz für mich gewesen? Eine Frau hat keinerlei Rechte bezüglich ihrer Kinder, und Geld besitzt sie auch keines. Wir sind Eigentum unserer Männer. Wir dürfen nicht einmal ohne ihre Erlaubnis ausziehen, und die hätte er mir ganz gewiß nie gegeben. Und noch weniger hätte er mir erlaubt, meinen Sohn mitzunehmen.«
    Der Richter schwang seinen Hammer und verlangte nach Ruhe im Saal.
    Felicias Stimme wurde vor Zorn und Bitterkeit zunehmend schriller. »Oder hätte ich ihn lieber umbringen sollen – wie Alexandra? Würde Ihnen das besser gefallen? Sollte jede Frau, die einen Verrat oder eine Erniedrigung durch ihren Ehemann hinnehmen muß, deren Kind verletzt, herabgesetzt oder gedemütigt wurde, ihn kurzentschlossen ermorden?«
    Sie beugte sich noch weiter vor. Ihre Stimme war nun grell wie eine Sirene, ihr Gesicht eine häßliche Fratze.
    »Es gibt so viele andere Arten von Grausamkeit, Mr. Rathbone. Mein Mann war gut zu seinem Sohn; er verbrachte viel Zeit mit ihm, hat ihn nie geschlagen oder ohne Essen ins Bett geschickt. Er hat ihm eine ausgezeichnete Schulbildung zukommen lassen und ihm den Weg zu einer phantastischen Karriere geebnet. Er hat ihn stets mit Liebe und Respekt behandelt. Wären Sie zufriedener, wenn ich das alles durch eine wüste, abscheuliche Anschuldigung zunichte gemacht hätte, die mir ohnehin nicht geglaubt worden wäre? Oder wenn ich auf der Anklagebank und am Strick geendet hätte – wie sie dort?«
    »Gab es nichts dazwischen, Mrs. Carlyon?« fragte Rathbone ruhig. »Keinen sanfteren Kurs? Nur Hinnahme oder Mord?«
    Sie schwieg und sah plötzlich sehr alt aus, wie sie so mit grauem, verbittertem Gesicht über ihm stand.
    »Ich danke Ihnen.« Rathbone lächelte düster. »Zu dem Ergebnis bin ich auch gekommen. Mr. Lovat-Smith?«
    Die Menge stieß seufzend den angehaltenen Atem aus. Die Geschworenen wirkten erschöpft.
    Lovat-Smith stand schwerfällig auf, als wäre er selbst zu müde, um noch einen Sinn in der Fortsetzung des Ganzen zu sehen. Er ging zum Zeugenstand, bedachte Felicia mit einem langen, aufmerksamen Blick und senkte dann die Augen.
    »Ich habe keine Fragen an die Zeugin, Euer Ehren.«
    »Sie sind entlassen, Mrs. Carlyon«, sagte der Richter kalt. Er wollte noch etwas hinzufügen, ließ es jedoch bleiben.
    Felicia stieg unbeholfen wie eine alte Frau die Stufen hinab und schritt von stummer und totaler Verdammnis verfolgt zur Tür.
    Der Richter blickte fragend zu Rathbone.
    »Haben Sie noch weitere Zeugen, Mr. Rathbone?«
    »Ich würde Cassian Carlyon gern noch einmal in den Zeugenstand rufen, Euer Ehren, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Ist das wirklich
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