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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich
Autoren: Robert Jordan
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KAPITEL
1

    Schattensaat
    D as Rad der Zeit dreht sich, und die Zeitalter kommen und gehen, hinterlassen Erinnerungen, die zu Legenden werden, verblassen zu bloßen Mythen und sind längst vergessen, wenn dieses Zeitalter wiederkehrt. In einem Zeitalter, von einigen das Dritte genannt, einem Zeitalter, das noch kommen wird und das schon lange vorbei ist, erhob sich ein Wind über der Steppe von Caralain. Der Wind stand nicht am Anfang. Es gibt weder Anfang noch Ende, wenn sich das Rad der Zeit dreht. Aber es war ein Anfang.
    Nach Norden und Westen wehte der Wind unter der Morgensonne, über endlose Meilen wogenden Grases und verstreuter Baumgruppen hinweg, über den Fluß Luan, der eilig dahinströmte, an dem zerklüfteten Zahn des Drachenberges vorbei, dem legendären Fels, der über der welligen Ebene so hoch aufragte, daß die Wolken auf halber Höhe zu seinem rauchenden Gipfel einen Kranz um ihn bildeten. Der Drachenberg, wo der Drache gestorben war und mit ihm, wie viele behaupteten, das Zeitalter der Legenden, und wo er der Prophezeiung nach wiedergeboren wird. Oder wiedergeboren wurde. Nach Norden und Westen wirbelte der Wind, über die Dörfer Jualdhe und Darein und Alindaer, von wo aus sich Brücken wie steinerne Spinnweben hinüber zur Leuchtenden Mauer schwangen, der großen Stadtmauer um Tar Valon, das manche die größte Stadt der Welt nannten. Eine Stadt, die jeden Abend gerade noch vom weit hinausgreifenden Schatten des Drachenberges berührt wurde.
    Innerhalb dieser Mauer schienen von Ogiern erbaute mehr als zweitausend Jahre alte Gebäude fast aus dem Erdboden herauszuwachsen, so als seien sie nicht von Menschenhand erbaut worden. Eher schienen Wind und Wasser sie geformt zu haben als die berühmten Hände der Ogier-Steinmetzen. Einige davon wirkten wie aufflatternde Vögel oder wie riesige Muscheln aus fernen Ozeanen. Hoch aufragende Türme, sich nach oben weitend oder gleichmäßig schmal und kanneliert, oder gar sich schraubenförmig emporwindend, wurden durch Brücken in Hunderten von Fuß Höhe und oft ohne jedes Geländer miteinander verbunden. Nur diejenigen, die sich schon lange in Tar Valon aufhielten, sah man nicht ständig mit offenem Mund hochgaffen wie die Bauern, die zum erstenmal in ihrem Leben eine Stadt sahen.
    Die Weiße Burg beherrschte die ganze Stadt. Sie schimmerte wie polierte Knochen im Sonnenschein. Das Rad der Zeit dreht sich um Tar Valon, sagten die Leute in der Stadt, und Tar Valon dreht sich um die Burg. Der erste Anblick Tar Valons für einen Reisenden, noch bevor die Pferde die Brücken erreichten, noch bevor die Kapitäne auf den Flußschiffen die Insel erspähten, war der Turm der Weißen Burg, der das Sonnenlicht wie ein Leuchtfeuer widerspiegelte. Kein Wunder, daß der große Vorplatz der Burg unter deren mächtigen Wänden erheblich kleiner wirkte, als er war, und daß die Menschen auf dem Platz zu bloßen Insekten schrumpften. Doch selbst wenn die Weiße Burg das kleinste Gebäude ganz Tar Valons gewesen wäre - durch die Tatsache, daß sie das Herz der Macht der Aes Sedai darstellte, hätte sie die Inselstadt in jedem Fall beherrscht.
    Trotz der vielen Menschen füllte die Menge den Vorplatz nicht einmal annähernd. Am äußeren Rand schubsten sich die Menschen gegenseitig, so viele drängten sich dort, die alle ihren täglichen Geschäften nachgingen. Näher am Burgbereich selbst fanden sich weniger Leute, und auf den letzten fünfzig Schritt vor den hohen weißen Mauern war das Pflaster menschenleer. Natürlich wurden die Aes Sedai in Tar Valon mehr als nur respektiert, und die Amyrlin regierte die Stadt genau wie ihre Aes Sedai, aber nur wenige wollten sich der Macht der Aes Sedai mehr als notwendig nähern. Es gab eben einen Unterschied, ob man auf einen großen, offenen Kamin einfach stolz war oder geradewegs in die Flammen hineinspazierte.
    Nur ein paar kamen der Burg näher und betraten die breiten Treppenstufen, die hinauf zur Burg selbst und den ungeheuren, kunstvoll geschnitzten Torflügeln führten. Sie waren so breit, daß ein Dutzend Menschen nebeneinander hindurchschreiten konnte. Das Tor stand einladend offen. Es gab immer einige Menschen, die dort Hilfe suchten oder eine Antwort, von der sie glaubten, nur eine Aes Sedai könne sie ihnen geben, und sie kamen oft von weit her, aus Arafel und Ghealdan, aus Saldaea und Illian. Viele fanden Hilfe oder Anleitung, aber manchmal nicht genau die, auf die sie gehofft oder die sie erwartet hatten.
    Min hatte
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