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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
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üben.«
    »Wirklich?« fragte der Junge erstaunt. »Großmutter hat gesagt, ihr würdet meine Mama aufhängen, weil sie eine böse Frau ist. Mein Vater wäre ein guter Mann gewesen, und sie hätte ihn einfach totgemacht.«
    Des Richters Gesicht wurde hart. »Nun, du wirst eine Weile vergessen müssen, was deine Großmutter oder sonst jemand gesagt hat, und uns nur erzählen, was du selbst sicher weißt. Verstehst du den Unterschied zwischen der Wahrheit und einer Lüge, Cassian?«
    »Na klar. Lügen ist was sagen, das nicht stimmt, und das ist gar nicht ehrenhaft. Ein Gentleman lügt nicht – und ein Offizier gleich dreimal nicht.«
    »Auch nicht, um jemanden zu schützen, den er sehr gern hat?«
    »Nein, Sir. Es ist die Pflicht eines Offiziers, die Wahrheit zu sagen – oder für immer zu schweigen, wenn es der Feind ist, der fragt.«
    »Wer hat dir das erklärt?«
    »Mein Vater, Sir.«
    »Damit hatte er völlig recht. Wenn du gleich den Eid gesprochen und vor Gott geschworen hast, die Wahrheit zu sagen, möchte ich, daß du nur das sagst, was ganz bestimmt wahr ist, oder für immer schweigst. Willst du das tun?«
    »Ja, Sir.«
    »Schön, Mr. Rathbone, Sie dürfen Ihren Zeugen vereidigen.« Es wurde vorschriftsmäßig über die Bühne gebracht, dann begann Rathbone mit der Befragung. Er stand direkt vor dem Zeugenstand und blickte freundlich zu Cassian hoch.
    »Du hast deinem Vater sehr nahe gestanden, Cassian, nicht wahr?«
    »Ja, Sir«, antwortete das Kind mit perfekter Haltung.
    »Stimmt es, daß er vor ungefähr zwei Jahren damit anfing, dir seine Liebe auf eine neue und ganz andere, eine sehr private Art zu zeigen?«
    Cassian blinzelte. Außer Rathbone hatte er bislang niemanden angesehen, weder seine Mutter gegenüber auf der Anklagebank, noch seine Großeltern oben auf der Galerie.
    »Es kann ihm jetzt nicht mehr schaden, wenn du die Wahrheit sagst«, meinte Rathbone beiläufig, als wäre es nicht weiter wichtig. »Und für deine Mutter ist es äußerst wichtig, daß du ehrlich zu uns bist.«
    »Ja, Sir.«
    »Hat er dir seine Liebe vor zwei Jahren auf eine neue und sehr körperliche Weise gezeigt?«
    »Ja, Sir.«
    »Auf eine sehr intime Weise?« Ein kurzes Zögern. »Ja, Sir.«
    Von der Galerie ergoß sich bitterliches Weinen. Eine Männerstimme stieß eine leidenschaftliche Verwünschung aus.
    »Tat es weh?« fragte Rathbone todernst.
    »Nur am Anfang.«
    »Aha. Wußte deine Mutter darüber Bescheid?«
    »Nein, Sir.«
    »Warum nicht?«
    »Papa hat mir gesagt, Frauen würden so was nicht verstehen, deshalb sollte ich es ihr besser nicht erzählen.« Er holte tief Luft, und seine Haltung schwand plötzlich dahin.
    »Das war alles?«
    Cassian schniefte. »Er hat gesagt, sie hätte mich nicht mehr lieb, wenn sie es weiß. Aber Buckie meint, sie liebt mich trotzdem.«
    »Ja, Buckie hat vollkommen recht«, beeilte Rathbone sich zu bestätigen, der nun selbst seltsam heiser klang. »Keine Frau kann ihr Kind mehr lieben. Da bin ich ganz sicher.«
    »Ehrlich?« Cassians Blick klebte unverwandt an Rathbones Gesicht. Er schien sich standhaft zu weigern, die Anwesenheit seiner Mutter zur Kenntnis zu nehmen, damit er am Ende nicht zu ihr hinsah und entdeckte, wovor er sich so sehr fürchtete.
    »O ja! Ich kenne deine Mutter nämlich ganz gut. Sie hat mir gesagt, sie würde lieber sterben als zuschauen, wie man dir weh tut. Sieh sie an, dann weißt du es auch.«
    Im Zeitlupentempo drehte Cassian sich zu seiner Mutter um und sah sie zum erstenmal an.
    Alexandra zwang sich zu dem Hauch eines Lächelns, doch der Schmerz in ihrem Gesicht war grauenhaft. Cassians Blick kehrte zu Rathbone zurück.
    »Hat dein Vater damit weitergemacht, mit dieser neuen Sache, bis zu seinem Tod?«
    »Ja, Sir.«
    »Gab es noch jemanden anderen, der es getan hat? Ein anderer Mann?«
    Abgesehen von einem schwachen Seufzen im hinteren Teil der Galerie war es mucksmäuschenstill.
    »Wir wissen, daß es mehrere Männer gab, Cassian«, meinte Rathbone. »Bisher bist du sehr tapfer und sehr ehrlich gewesen. Bitte, lüge uns jetzt nicht an. Hat es noch jemand getan?«
    »Ja, Sir.«
    »Wer, Cassian?«
    Der Blick des Jungen wanderte zum Richter und wieder zurück zu Rathbone.
    »Das kann ich nicht sagen, Sir. Ich hab’ geschworen, daß es mein Geheimnis bleibt, und ein Gentleman ist kein Verräter.«
    »Das stimmt«, erwiderte Rathbone im Ton einstweiliger Kapitulation. »Sehr schön. Lassen wir es erst einmal gut sein.
    Ich danke dir. Mr.
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