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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat
Autoren: Anne Perry
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als er sich die Schnittverletzung am Oberschenkel zuzog? Es geschah doch bei euch zu Hause?«
    Im Saal war es totenstill. Niemand rührte sich, keiner sagte einen Ton.
    »Ja.«
    Rathbone trat einen Schritt näher an ihn heran.
    »Wie ist das passiert, Valentine? Oder vielleicht sollte ich besser fragen, warum?«
    Valentine starrte ihn wortlos an. Er war so blaß, daß Monk fürchtete, er könne jeden Moment in Ohnmacht fallen.
    Damaris lehnte sich mit völlig verzweifeltem Blick über die Brüstung der Galerie. Peverell drückte ihre Hand.
    »Du kannst uns die Wahrheit ruhig erzählen«, sagte Rathbone freundlich. »Das Gericht wird dich beschützen.«
    Der Richter machte Anstalten zu protestieren, schien dann jedoch abzusehen.
    Lovat-Smith hüllte sich in Schweigen.
    Die Geschworenen saßen wie zu einer einzigen Person festgefroren.
    »Ich habe auf ihn eingestochen.« Valentines Worte waren kaum zu verstehen.
    Vorn in der zweiten Reihe schlug Maxim Furnival die Hände vors Gesicht. Louisa nagte an ihren Fingernägeln. Alexandra preßte eine Hand auf ihren Mund, als wollte sie einen Schrei ersticken.
    »Du mußt einen sehr guten Grund für eine solche Tat gehabt haben«, fuhr Rathbone fort. »Die Wunde war ziemlich tief. Wenn eine Arterie verletzt worden wäre, hätte er verbluten können.«
    »Ich…« Valentine schnappte entsetzt nach Luft.
    Rathbone hatte sich verschätzt. Er hatte dem Jungen zuviel Angst eingejagt und sah es sofort.
    »Aber das war natürlich nicht der Fall«, sagte er schnell. »Es war lediglich peinlich – und mit Sicherheit schmerzhaft.« Valentine bot ein Bild des Jammers.
    »Warum hast du es getan, Valentine?« fragte Rathbone überaus sanft. »Dich muß etwas ganz Entsetzliches dazu getrieben haben, wenn das der letzte Ausweg für dich war.«
    Valentine stand kurz vor einem Tränenausbruch. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen.
    Monk litt mit ihm. Er dachte an seine eigene Jugend zurück, an das verzweifelte Ringen nach Würde eines Dreizehnjährigen, für den das Mannsein so nah war und doch unendlich weit entfernt.
    »Mrs. Carlyons Leben kann von deiner Aussage abhängen«, drängte Rathbone.
    Diesmal zogen ihn weder der Richter noch Lovat-Smith wegen Regelwidrigkeit zur Rechenschaft.
    »Ich konnte es nicht mehr ertragen«, erwiderte Valentine heiser und so leise, daß die Geschworenen sich gewaltig anstrengen mußten, um ihn zu verstehen. »Ich habe ihn angefleht, aber er wollte einfach nicht aufhören!«
    »Also hast du dir in deiner Verzweiflung selbst geholfen?« Rathbones klare, tragende Stimme durchschnitt die Stille wie Glockenschläge, obwohl er sie gesenkt hatte, als wäre er mit Valentine in einem kleinen Raum allein.
    »Ja.«
    »Damit was aufhörte?«
    Der Junge gab keine Antwort. Sein Gesicht begann zu glühen, als ihm das Blut in die Wangen stieg.
    »Darf ich es für dich aussprechen, falls dir die Worte schwerfallen?« fragte Rathbone. »Hat der General dich zum Geschlechtsverkehr gezwungen?«
    Valentine nickte kaum merklich. Er bewegte seinen Kopf lediglich um drei, vier Zentimeter nach unten. Maxim Furnival stieß einen erstickten Schrei aus. Der Richter wandte sich an seinen Stiefsohn.
    »Du mußt sprechen, damit kein Zweifel an deiner Antwort aufkommen kann«, sagte er warm. »Ein schlichtes Ja oder Nein genügt. Hat Mr. Rathbone recht?«
    »Ja, Sir.« Es war nur ein Flüstern.
    »Ich verstehe. Danke, Valentine. Ich versichere dir, daß du wegen des tätlichen Angriffs gegen General Carlyon mit keinerlei Folgen zu rechnen brauchst. Es war Notwehr, kein Verbrechen im Sinne des Gesetzes. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben oder seine Tugend zu verteidigen, ohne sich dadurch in irgendeiner Form schuldig zu machen. Wir alle hier fühlen mit dir. Wir sind schockiert über das, was dir angetan worden ist.«
    »Wie alt warst du, als es anfing?« fuhr Rathbone nach einem kurzen Blick auf den Richter und einem Nicken von dessen Seite fort.
    »Sechs, glaube ich«, gab Valentine zurück. Zum zweitenmal fuhr ein langgezogener Seufzer durch den Raum, gefolgt von spannungsgeladenem Zornesbeben. Damaris lag schluchzend in Peverells Armen. Von der Galerie her ertönte ein langsam anschwellendes Grummeln, und einer der Geschworenen stöhnte laut auf.
    Rathbone schwieg einen Moment, er schien zu angewidert, um gleich weitersprechen zu können.
    »Sechs Jahre«, wiederholte er schließlich für den Fall, daß es irgendwem entgangen war. »Und was geschah, nachdem du den
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