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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz
Autoren: Håkan Bravinger
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ihres Körpers, legst den Arm um sie, schließt die Augen. Du kannst ihr Atmen noch hören – es ist fast wie ein Schnarchen – und versuchst im gleichen Takt, Luft zu holen. Aber es ist schwer, den Atemzügen zu folgen, sie werden immer gedehnter und hören manchmal fast völlig auf. Sie ist so still, denkst du, es ist so erholsam, ihren Atemzügen zu lauschen.
    Und du spürst, dass dich die Müdigkeit übermannt und du sachte mit ihr in den Schlaf sinkst. Ein ganzes Leben habt ihr miteinander geteilt, aber nie zuvor hast du dich ihr so nahe gefühlt wie in diesem Moment.
    Ganz Vårstavi liegt im Dunkeln, als du leise aufstehst. Gunhild schläft tief und fest, und du breitest eine Decke über sie, ehe du gehst. Schon bald wirst du wieder nach ihr sehen.
    Du hast keine Ahnung, wie spät es ist, man hört keinen Laut, nicht aus der Küche, nirgendwoher. Abgesehen von einem gedämpften Pfeifen draußen ist alles still.
    Du gehst in dein Arbeitszimmer, zündest im Kamin ein kleines Feuer an, etwas, das dich immer sehr beruhigt hat. Es dauert einen Moment, aber dann fängt das Brennholz Feuer.
    Es hat angefangen zu schneien, besser gesagt, es fällt Schneeregen. Deprimierende Dunkelheit hat sich wie eine Decke auf Vårstavi gesenkt. Du schauderst.
    Viele Dinge, überlegst du, hätten anders sein können. Wie viel Arbeit hätte nicht getan werden können, wenn mehr Zeit, wenn tief in dir mehr Energie gewesen wäre. Du hast immer gearbeitet, aber was soll werden, wenn Gunhild dich verlässt? Es ist immer dein größter Lohn gewesen, wenn du ihr dein neuestes Buch gezeigt, ein neues Gedicht vorgelesen, eine Skulptur präsentiert hast. Nun bist du Kollegen und anderen Parasiten ausgeliefert. Keiner von denen hat auch nur das geringste Interesse an dir, sie denken alle nur an ihre eigenen Sachen und wie sie dich ausnutzen können.
    So ist es immer gewesen, so wird es immer sein.
    Wer, denkst du, wer in aller Welt wird sich jetzt noch für dich interessieren?
    Du zitterst. Es ist kalt im Zimmer, kälter als es sein sollte, und du überlegst, ob du nach Signhild klingeln sollst. Aber das Feuer beginnt zu knistern und wird dir sicher gleich ein wenig Wärme spenden.
    Vårstavis Wände, die dich umschließen und vor allem Bösen behüten. Hier kannst du die Augen schließen und dir sicher sein, was du sehen wirst, wenn du sie wieder öffnest.
    Du kommst alleine zurecht, denkst du. Das Feuer wird dich bald wärmen.
    Du siehst, wie sich die Flammen umspielen, wie sie wachsen, in sich zusammenfallen und die Farbe ändern. Es ist ein schönes Schauspiel, so schmeichelnd wie unerbittlich und unheimlich. In der Feuergarbe erblickst du verschiedene Gesichter, die Gestalt annehmen und lebendig werden. Da ist Gunhilds, da ist meins, Madeleines, Mutters, da sind Amelies und Sören Christers. Du siehst die Gesichter kommen und gehen, sie lächeln dich unterschiedlich alt an, lächeln liebevoll, bevor sie wieder verschwinden und von neuen ersetzt werden. Wenn du könntest, würdest du dich vorbeugen und sie umarmen, ihre Wärme in deinen steifgefrorenen Körper ziehen.
    Stattdessen streckst du den Arm zum Schreibtisch aus.
    Du weißt, wo er liegt, der Brief.
    Dann hältst du ihn in der Hand und siehst meine Schrift auf dem cremeweißen Kuvert. Für Mutter.
    Du überlegst nicht einmal, ob du ihn öffnen und lesen sollst. Du hältst einfach die Hand über das Feuer und lässt ihn fallen. Wenige Sekunden später ist er vernichtet. Fort. Als hätte er nie existiert.

Dass die Erde und der Himmel einander so
    fern und doch stets nah sein können.
    Vårstavi, 27. November 1925
    Die Stimme war so ruhig, so lindernd.
    »Ist ja gut, Kleine.«
    Hätte ihre Mutter sie doch nur auf diese Weise beruhigen können, als sie noch ein kleines Mädchen war.
    Ein Kind muss so oft getröstet werden, Erinnerungen an Schulhöfe und schlaflose Nächte.
    In unserem tiefsten Inneren, dachte Madeleine, sind wir alle das Kind, das nicht mitspielen darf. Wir stehen auf dem Schulhof und sehen die anderen johlen und jauchzen, ohne zu verstehen, warum uns der Eintritt in ihre lustvolle Welt verwehrt bleibt, sehen sie Seil springen, flüstern und lachen, Tanzschritte machen und Pausenbrote vergleichen.
    Die ruhige Stimme und das Streicheln, die Hand, mit der sie behutsam über Madeleines Haare strich.
    »Ist ja gut, Kleine«, sagte sie.
    Wie ein trotzköpfiges Kind habe ich mich benommen, dachte Madeleine und schüttelte leicht den Kopf. Einfach wegzulaufen, geradewegs in
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