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Verrat in Freistatt

Titel: Verrat in Freistatt
Autoren: Robert Asprin
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Hakiem
Einleitung
    Es war schon lange her, seit Hakiem, Freistatts ältester Geschichtenerzähler, zuletzt den Stadtteil betreten hatte, der als Fischerviertel bekannt war, aber er fand sich durchaus noch zurecht. Es hatte sich hier auch nicht viel verändert. Die Stände mit ihren dünnen Stoffdächern, die den Tagesfang vor der Sonne schützen sollten; die Kähne, die mit dem Kiel nach oben auf den Piers lagen; und ein paar Netze, die zum Trocknen und Flicken entlang des Strandes aufgehängt waren; alles war so wie früher - nur etwas ärmlicher, mitgenommener, genau wie die Menschen auch- und der Rest der Stadt.
    Hakiem hatte den Niedergang Freistatts über die Jahre hinweg miterlebt, hatte beobachtet, wie mit der zunehmenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage die Bürger immer verzweifelter wurden und die Untaten zunahmen. Mit dem unvoreingenommenen Auge des echten Geschichtenerzählers hatte er alles beobachtet und festgehalten. Doch manchmal, wie jetzt - wenn eine längere Abwesenheit den Verfall offensichtlicher machte, der hier rascher fortschritt als in den Vierteln, in denen er sich üblicherweise aufhielt -, verspürte er tiefen Kummer, nicht unähnlich dem, als er seinerzeit seinen Vater besucht und erkannt hatte, daß er dem Tod nahe war. Er hatte jenen Besuch kurzgehalten und war nie wieder zurückgekehrt. Damals in seiner Jugend, hatte er es vorgezogen, sich die Erinnerung an seinen Vater in der vollen Blüte seines Lebens zu bewahren. Später hatte Hakiem diesen Entschluß immer bedauert. Und nun, da die Stadt, die er zu seiner Heimat gemacht und in sein Herz geschlossen hatte, in ihren Todeszuckungen lag, war er entschlossen, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu begehen, indem er sie verließ. Er würde in Freistatt bleiben, ihre Schmerzen mit ihr teilen und sie mit seiner Anwesenheit trösten, bis entweder sie oder er oder sie beide tot waren.
    Bestärkt in diesem Entschluß, wandte der Geschichtenerzähler dem herzzerbrechenden Anblick der Piers den Rücken - der Piers, einst der Stolz Freistatts, doch jetzt ein Zerrbild ihrer früheren Größe - und betrat die Schenke, die von vornherein sein Ziel gewesen war.
    Im »Weinfaß« trafen die Fischer sich gern zu einem kleinen Schwatz, ehe sie nach verrichtetem Tagewerk zu ihren Katen zurückkehrten. Heute war keine Ausnahme, und Hakiem fand sofort die Person, die er suchte. Ornat saß an einem Ecktisch mit einem vollen Krug in der einen Hand, die ihm noch geblieben war, und starrte abwesend vor sich hin. Hakiem zögerte kurz, sich dem einarmigen Fischer in seiner selbstgesuchten Zurückgezogenheit aufzudrängen, doch dann siegte die Neugier über den Takt, und er näherte sich dem Tisch.
    »Darf ich mich zu dir setzen, Ornat?«
    Der Blick des Fischers schien aus weiter Ferne zurückzukehren, und er blinzelte überrascht. »Hakiem! Was führt dich zu den Piers? Ist dem >Wilden Einhorm endlich der Wein ausgegangen?«
    Der Märspinner ging nicht auf den Spott ein. Er ließ sich auf einen der leeren Stühle fallen. »Ich bin hinter einer Geschichte her«, erklärte er ernst. »Hinter einem Gerücht, das sich nur mit deiner Hilfe zu einer vollblutigen Geschichte ausbauen läßt, wie sie die Zuhörer fesseln kann.«
    »Eine Geschichte?« echote Ornat mit ausweichendem Blick. »Abenteuer erleben bloß deine reichen Kaufleute oder lichtscheuen Gauner, nicht einfache Fischer wie wir - und ganz sicher habe ich keines erlebt.«
    »Oh?« Hakiem täuschte Verwunderung vor. »Dann war es wohl ein anderer einarmiger Fischer, der heute einem Standorthauptmann das Verschwinden des Alten Mannes und seines Sohnes meldete?«
    Ornat bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Ich hätte es besser wissen müssen, als Verschwiegenheit in dieser Stadt zu erwarten. Schlimme Neuigkeiten ziehen solche, die den Nervenkitzel suchen, an wie des Prinzen Galgen die Raben. Wie man so schön sagt, in Freistatt kann man alles bekommen, nur keine Hilfe.«
    »Die Garnison wird doch sicher nachforschen?« fragte der Geschichtenerzähler, obgleich er die Antwort bereits kannte.
    »Nachforschen!« Der Fischer spuckte geräuschvoll auf den Boden. »Weißt du, was sie zu mir gesagt haben - diese Schreibtischhengste? Daß der Alte Mann ertrunken sein muß und sein Sohn ebenfalls. Sie glauben doch tatsächlich, eine plötzliche Böe hätte den Alten Mann aus dem Kahn geworfen. Kannst du dir so etwas vorstellen? Er, aus dem Boot fallen! Wo er doch so sehr Teil davon ist wie die Dolle!
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