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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz
Autoren: Håkan Bravinger
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den Wald hinein, und das bei diesem Schnee und dieser Kälte. Ausgerutscht war sie auch noch und in eine Schneewehe geplumpst. Die Hand, mit der sie sich abgestützt hatte, schmerzte immer noch.
    Sie schloss die Augen, schämte sich und spürte die roten Flecken am Hals größer werden. Wie ein Ausschlag, wie der, den ihre Mutter immer bekam, wenn sie sich wegen etwas, das sie getan oder vergessen hatte, schämte, oder wegen etwas, das Vater getan oder vergessen hatte, wütend war.
    Entweder oder.
    Man erbt mehr, als man sich wünscht, hat sein Leben lang daran zu tragen und verachtet das Verhalten seiner Eltern, bis man selber wird wie sie. Ein ewiger Kreislauf, ohne Umkehr.
    Wenn sie diese sanfte Liebkosung nur noch eine Weile würde spüren dürfen.
    Sie hatte das Gefühl, seit Andreas’ Tod keinen Menschen mehr berührt zu haben.
    »Ich träume nicht mehr«, sagte sie mit schleppender Stimme. »Ist das nicht merkwürdig? Es ist, als nähme jemand mir meine Träume.«
    Sie bekam keine Antwort, nur ein Lächeln.
    Und dann fuhr die Frau fort, sie zu streicheln.
    Danke, lieber Gott, dass sie nicht aufhört, dachte Madeleine.
    »Ich habe vergessen, wie Sie heißen«, sagte sie. »Entschuldigen Sie bitte.«
    »Schwester Lisa, heiße ich. Ich bin seit einem Jahr beim Herrn Doktor, um Frau Gunhild zu pflegen.«
    Ihr schien noch etwas auf der Zunge zu liegen und Madeleine wollte, wollte so sehr, dass sie weitersprach. Sie hatte so eine warme Stimme.
    »Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit, Schwester Lisa.«
    »Frau Bjerre sollte sich über den Herrn Doktor nicht so aufregen. Er …«
    »Ich …«
    Nein, es kamen keine Worte.
    Beide schwiegen.
    Und dann hörte Lisa auf, ihr übers Haar zu streichen. War sie jetzt genug getröstet worden? – Nein, sie hatte wirklich nicht das Gefühl, dass man ihr genug Trost gespendet hatte, sie fror noch immer, tief in ihrem Inneren war alles erfroren und gähnend leer.
    »Haben Sie Kinder, Schwester Lisa?«
    Sie antwortete mit einem Kopfnicken.
    »Ja, zwei Stück. Richtige kleine Taugenichtse.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht. Ich habe selber zwei Kinder, aber in den letzten Jahren … Liss und Lena … ich habe sie kaum gesehen, Andreas ertrug keine Kinder. Ich begreife nicht, wie es dazu kommen konnte, ich meine … es sind meine Kinder, ich … eine Frau ist dazu bestimmt, Kinder zu haben, so ist es doch trotz allem. Man hat die Aufgabe, für den Fortbestand der Familie zu sorgen. Jetzt habe ich niemanden mehr. Wenn ich jemals eine Familie hatte, so ist sie jetzt jedenfalls fort. Und Andreas und ich, wir …«
    »Es ist so traurig, was da passiert ist. Herr Andreas war ein feiner Mensch. Ich habe so viel Gutes über ihn gehört.«
    »Haben Sie? Wirklich?«
    »Sie haben in diesem Leben noch viel zu tun.«
    In der kleinen Pause, die entstand, war er plötzlich da. Es war ein Name, den Madeleine bisher nur zusammen mit Andreas ausgesprochen hatte.
    »Sven«, sagte sie.
    Es folgte verständnislose Stille. Lisa sah sie fragend an.
    »Er sollte unsere Rettung sein«, erläuterte Madeleine mit langsamer Stimme. »Obwohl wir das damals natürlich noch nicht wussten. Dass es ein Junge sein würde, meine ich. Wir hatten uns so darauf gefreut, ein gemeinsames Kind zu haben, all unsere Wünsche schienen sich erfüllt zu haben. Er würde unsere Rettung sein und dafür sorgen, dass unser Leben eine Richtung bekam, etwas Gemeinsames, was nichts mit Andreas’ Arbeit zu tun hatte. Ein Kind der Liebe …«
    Sie blickte zu Boden.
    Es fiel ihr furchtbar schwer, darüber zu sprechen, selbst jetzt noch, nach Jahren. Es war eine Trauer, die nie schwächer zu werden schien. Die einzige Chance hieß verdrängen, verdrängen.
    »Wir sind nie dazu gekommen, ihn taufen zu lassen. Er lebte nur wenige Minuten. Aber als Andreas ihn in den Armen hielt, beschlossen wir noch, dass er Sven heißen sollte.
    »Meine Liebe.«
    Lisa strich die Haare fort, die Madeleine ins Gesicht gefallen waren, und küsste sie auf die Wange.
    »Sie müssen zu Ihren Kindern fahren.«
    »Ja, Sie haben sicher Recht. Ich würde mir wünschen, Ihre Kinder kennen zu lernen. Wie alt sind sie?«
    »Oh, sie sind vier und sieben. Ich kann Ihnen Fotos von ihnen zeigen.«
    »Ja, die würde ich wirklich gerne sehen. Ich liebe Fotografien. Ich habe hier eine, die ich immer bei mir trage.«
    Madeleine holte das Bild vom Grand Canyon heraus, das wie immer in ihrer Jacke lag. Sie zog auch den Brief hervor, der sie nach Vårstavi geführt hatte.
    Sie
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