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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin
Autoren: Jeffery Deaver
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13. September 1999

    »Mansons Sohn« des Mordes an der Familie Croyton für schuldig befunden

    SALINAS, KALIFORNIEN – Daniel Raymond Pell, 35, wurde heute wegen vierfachen Mordes sowie Totschlags verurteilt. Die Geschworenen in Monterey County berieten sich nur fünf Stunden lang.
    »Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan«, ließ der leitende Anklagevertreter James J. Reynolds nach dem Schuldspruch gegenüber der Presse verlauten. »Dies ist ein äußerst gefährlicher Täter, der entsetzliche Verbrechen begangen hat.«
    Pell wurde als »Mansons Sohn« bekannt, weil es Parallelen zwischen seinem Leben und dem des verurteilten Mörders Charles Manson gibt. Manson war 1969 in Südkalifornien dafür verantwortlich gewesen, dass die Schauspielerin Sharon Tate und mehrere andere Personen zu Opfern von Ritualmorden wurden. Im Anschluss an Pells Verhaftung fand die Polizei in seinem Haus eine Vielzahl von Büchern und Artikeln über Manson.
    Das heute gefällte Urteil bezieht sich auf die am 7. Mai verübten Morde an William Croyton, seiner Frau und zwei ihrer drei Kinder in Carmel, Kalifornien, knapp zweihundert Kilometer südlich von San Francisco. Die Anklage wegen Totschlags ergab sich aus dem Tod von James Newberg, 24, der mit Pell zusammengewohnt und ihn am Tatabend zum Haus der Croytons begleitet hat. Die Staatsanwaltschaft erklärte, Newberg habe sich anfangs an den Morden beteiligen wollen, sich dann aber geweigert, woraufhin Pell ihn getötet habe.
    Croyton, 56, war ein wohlhabender Elektroingenieur und Computer-Trendsetter aus dem Silicon Valley. Seine im kalifornischen Cupertino ansässige Firma stellt hochmoderne Software her, die sich in den meisten der weltweit beliebtesten PC-Programme wiederfindet.
    Aufgrund von Pells Interesse an Manson kamen Spekulationen auf, die Morde könnten – wie seinerzeit bei Manson – ideologisch motiviert sein, aber laut Staatsanwalt Reynolds hatte der Täter es höchstwahrscheinlich auf das Eigentum der Familie Croyton abgesehen. Pells Strafregister reicht zwanzig Jahre zurück und umfasst Dutzende von Laden-und Einbruchdiebstählen sowie zahlreiche Raubüberfälle.
    Ein Kind der Croytons, die neunjährige Tochter Theresa, hat überlebt. Sie lag schlafend im Bett und wurde von Pell übersehen, weil sie durch ihre Spielzeuge und Stofftiere verdeckt war. Dieser Umstand hat ihr später den Beinamen Schlafpuppe eingebracht.
    Genau wie der von ihm bewunderte Charles Manson besaß auch Pell eine düstere Ausstrahlung und konnte eine Gruppe ergebener und fanatischer Anhänger um sich scharen, die er seine Familie nannte – ein ebenfalls dem Manson-Clan entlehnter Begriff – und über die er absolute Kontrolle ausübte. Zur Zeit der Croyton-Morde bestand diese Gruppe aus Newberg und drei Frauen, die alle gemeinsam in einem ärmlichen Haus in Seaside wohnten, nördlich von Monterey, Kalifornien. Im Einzelnen handelt es sich um Rebecca Sheffield, 26, Linda Whitfield, 20, und Samantha McCoy, 19. Whitfield ist die Tochter von Lyman Whitfield, Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender der Santa Clara Bank and Trust, der viertgrößten Bankgesellschaft des Staates, mit Hauptsitz in Cupertino.
    Die Frauen wurden zwar nicht in der Strafsache Croyton/Newberg angeklagt, aber ihnen konnten zahlreiche Fälle von Diebstahl, Hausfriedensbruch, Betrug und Hehlerei nachgewiesen werden. Whitfield hatte sich zudem der Behinderung der Ermittlungen, des Meineides und der Zerstörung von Beweismitteln schuldig gemacht. Infolge einer Absprache zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft wurden Sheffield und McCoy zu je drei Jahren Haft verurteilt, Whitfield zu viereinhalb.
    Sogar Pells Verhalten vor Gericht glich dem von Charles Manson. Er saß reglos am Tisch der Verteidigung und starrte die Geschworenen und Zeugen an, um sie offenbar einzuschüchtern. Gerüchten zufolge glaubte er, übersinnliche Kräfte zu besitzen. Einmal wurde der Angeklagte aus dem Gerichtssaal entfernt, nachdem eine Zeugin unter seinem Blick zusammengebrochen war.
    Vom morgigen Tag an beraten die Geschworenen über das Strafmaß. Pell könnte zum Tode verurteilt werden.

... Montag

... Eins

    Die Vernehmung begann wie jede andere.
    Kathryn Dance betrat das Verhörzimmer. An einem Metalltisch saß in Ketten ein dreiundvierzigjähriger Mann und blickte ihr aufmerksam entgegen. Das taten die Verdächtigen natürlich immer, aber bisher noch nie mit so erstaunlichen Augen. Ihr Blau ähnelte weder dem Himmel noch dem Meer oder
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