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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz
Autoren: Håkan Bravinger
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Gedanke, dass aus der Asche entsprungen ein Baum wachsen konnte. Das Vergängliche, das so viel Schönheit in sich barg, so viel, was man in der kurzen Zeit, in der man es erleben durfte, behüten musste.
    Andreas und sein fortwährender Kampf ums Überleben.
    Das Buch, das ihn in all ihren gemeinsamen Jahren verfolgt hatte. Das Mörderbuch. Als sie sich kennenlernten, war es im Grunde fertig, es fehlten nur noch ein paar Interviews und ein kurzes Vorwort.
    Das Vorwort, für das er dreizehn Jahre benötigte.
    Ihr ganzes gemeinsames Leben verteilt auf vierundzwanzig Seiten. Aber das Buch wurde fertig, und dann kam der Erfolg, kamen die Übersetzungen ins Deutsche und Englische, die Bitten um Artikel und Vorlesungen. Alles, wovon er geträumt hatte, ging in Erfüllung. Bekannte Persönlichkeiten verfassten Diskussionsbeiträge, man sprach von neuen Gesetzen für den Strafvollzug. Er erhielt den ersehnten Ruf auf eine Professur in Stockholm.
    Endlich: der Erfolg.
    Wenige Monate später war er tot.
    Aber als ihr Zweifel kamen, als sie bezweifelte, dass die harten Jahre von irgendeinem Nutzen gewesen waren, hatte sie noch seine Stimme im Ohr. Die ihr sagte, dass er sie liebte. Andreas’ Todeskampf war so anders, dachte sie, wenn auch auf seine Art genauso grauenvoll wie der ihrer Großmutter. Sie hatte sich geirrt, als sie glaubte, dass ein anderer Mensch es verstehen würde.
    Als sie auf Vårstavis Veranda stand – sie hörte bereits das Auto, es war schon ganz nah, nur noch ein oder zwei Kurven entfernt –, erkannte sie, dass sein Kampf in Wahrheit nicht so gewesen war, wie sie ihn sich vorgestellt hatte: ein Ringen um sich selbst, um weiterzuleben.
    Es war ein Kampf ihr zuliebe gewesen, um noch etwas Zeit mit ihr verbringen zu dürfen.
    So hatte sie es noch nie gesehen, nicht mit dieser Klarheit. Sie spürte den Wind, der sie umwehte, und schloss die Augen.
    Und sie wusste es genau. Die Kraft, die sie hatte, als sie ihn sterben ließ, konnte ihr keiner nehmen, niemals. Sie hatte ihre Hand auf seine Stirn gelegt und ihm gesagt, wie sehr sie ihn liebte. Er verließ die Welt mit diesen letzten, ins Ohr gehauchten Worten.
    Wie hätte es schöner geschehen können?
    Zurück blieb der Rest ihres Lebens. Andreas war fort, und sie lebte. Sie war jung und hatte noch ein langes Leben vor sich. Das waren die Gedanken, aus denen sie Kraft schöpfen würde.
    Sie hatte ihren Auftrag erfüllt und wurde von einer unerwarteten Wärme übermannt. Ja, der Brief war übergeben worden, aber dafür lag nun in ihrer Jacke Lisas Fotografie von ihren niedlichen, kleinen Kindern, die noch so unberührt, so voller Leben waren.
    Sie machte einen Schritt. Seltsamerweise verharrte ihr Fuß fast schwebend in der Luft. Vielleicht, schoss es ihr durch den Kopf, weil sie beinahe die Tasche fallen gelassen hätte und ausgleichen musste. Sie war sicher, hätte sie jemand in diesem Moment fotografiert, so hätte es ausgesehen, als würde sie über dem Erdboden schweben.
    Ja, dachte sie, für einen sehr kurzen Moment gab es nichts, was mich auf dieser Erde festhielt!
    Wieder dachte sie an das Bild vom Grand Canyon. Vielleicht sollte ich dorthin fahren, dachte sie. Zum Grand Canyon. Auf der anderen Seite der Welt.
    Es gibt nichts, wovor man sich fürchten muss, Andreas.
    Es gibt nichts, was wir Menschen nicht aushalten können.
    Die Natur trägt Stein für Stein ganze Berge ab, der Fluss bahnt sich rücksichtslos seinen Weg, Tropfen für Tropfen gegen den Felsblock.
    Kein Wunder hat Bestand, nichts währt ewig.
    Wenn du dich dort auf den höchsten Punkt einer Erhebung stellst, kannst du zwar hinabschauen, aber nie das wahre Wunderwerk der Geschichte erfassen, das Ausschachten, das Suchen, das unablässig weitergeht, aber in einer anderen Zeitspanne geschieht, so langsam, dass du es nicht wahrnimmst, jedoch so beharrlich, dass du bloß eine kleine, winzig kleine Scherbe siehst und sie für das große Ganze, die Wahrheit hältst.
    Auch der Grand Canyon wird Verwandlungen durchlaufen, die du dir niemals vorstellen können wirst, wenn du dort oben stehst und in die Unendlichkeit blickst – die nur für unsere beschränkten Sinne unendlich ist. Und wenn du fällst, gibt es immer jemanden, der dich auffängt.
    Daran müssen wir glauben, Andreas.
    Es ist nur so, dass uns die Worte fehlen, um zu beschreiben, wer oder was es ist.
    Aber jemand steht da und fängt dich auf.
    Wieder flüsterte sie die Worte:
    Du brauchst keine Angst haben. Lass mich los. Meine
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