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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz
Autoren: Håkan Bravinger
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Augen.
    »Dass man gegen sie ankämpfen muss. Aber … aber irgendwann geht es vielleicht nicht mehr. Manchmal habe ich gedacht, die einzige Art zu leben, ist so zu tun, als wäre man unsterblich. Ich meine, wir wissen natürlich alle, dass wir sterben müssen … aber es muss so unerträglich sein, mit diesem Wissen zu leben. Kann man dann wirklich noch leben ? Andreas hatte aufgehört zu leben. Es sah vielleicht aus, als würde er noch leben, und ich hätte es nur zu gerne geglaubt, aber er tat es nicht. Er hatte schon …«
    »Ich werde dir mal was erklären, Madeleine.«
    Poul stand auf, streckte sich und schob einen Daumen in die Westentasche. Er begann, langsam im Zimmer auf und ab zu gehen, spitzte mehrmals die Lippen, als wollte er sichergehen, sich richtig auszudrücken und ihre volle Aufmerksamkeit zu haben.
    Aber sie sah, dass die Röte noch nicht aus seinem Gesicht gewichen war, ebenso wenig wie die dunklen Ringe um seine Augen.
    Er sprach mit gebieterischer Stimme, in gleicher Lautstärke wie zuvor, jedoch bedeutend langsamer.
    »Ich hatte einmal eine Patientin, die träumte, dass drei Mädchen ein winterliches Bad genommen hatten und unter das Eis getaucht waren, aber nicht mehr zum Eisloch zurückfinden konnten und folglich kurz vor dem Ertrinken standen. Sie lief daraufhin zu dem Eisloch, streckte die Hand ins Wasser und zog die Mädchen nacheinander an den Haaren heraus. Das letzte war in einem derart schlechten Zustand, dass es einer geleeartigen Masse glich. Als sie das Mädchen jedoch wiederbelebte, nahm es immer menschlichere Formen an. Am Ende konnte es eigenständig atmen. Man kann sich nicht selbst an den Haaren herausziehen, Madeleine. Man sucht jemanden, der einem eine helfende Hand reicht. Wenn man in einem lebensuntauglichen Zustand ist, braucht man Hilfe.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest, Poul. Du sprichst immer über deine Patienten, aber das sind alles nur Worte, Worte, Worte.«
    »Man hat die Pflicht, seinem Nächsten zu helfen. Sind das auch nur Worte in deinen Ohren?«
    »Willst du mir damit sagen, dass ich nicht genug für Andreas getan habe? Meinst du das?«
    »Du hast dir eingebildet, er hätte aus triftigen Gründen eine Entscheidung getroffen. Das ist wahrlich verblüffend. Ein Mensch, der so nah am Abgrund lebt, ist nicht in der Lage, Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen. Er wollte den Schmerz betäuben, da sind wir uns einig – aber er brauchte ärztliche Hilfe, keine barmherzige Mörderin!«
    »Unverzeihlich ist es, jemanden in ein Eisloch zu drücken und anschließend das Loch zuzuschaufeln.«
    Sie konnte es sich nicht verkneifen, mit fauchender Stimme hinzuzufügen:
    »Was ganz der Bjerreschen Familientradition entsprochen hätte.«
    »Du spielst Theater, Madeleine. Wahrscheinlich, weil du nie deinen Platz im Leben gefunden hast. Aber das Stück, in dem du dich jetzt befindest, ist ein pathetischer Versuch, einen Mord zu rechtfertigen.«
    »Das ist kein Theater. Es ist die Wirklichkeit, die Wahrheit. Und die Wahrheit macht es für dich so unerträglich. Sie lässt sich nicht verbiegen und an irgendwelche Deutungen oder Analysen anpassen, keine Therapie oder Hypnose wird ihrer Herr. Theater! Wo hast du denn das her? Die Wahrheit ist einfach da, vor deinen Augen. Wenn du den Blick hebst, bekommst du sie zu Gesicht, Mensch! Ich begreife nicht, warum du sie als etwas Bedrohliches behandeln musst.«
    »Oh, Madeleine, Madeleine …«
    Er seufzte schwer und schüttelte langsam den Kopf.
    »Du und deine korrupte Nähe, die du den Leuten immer aufzwingst. Die Wahrheit. Du willst, dass ich ehrlich bin?«
    Er lächelte und holte tief Luft, ehe er weitersprach:
    »Ich habe dich immer als einen Menschen betrachtet, der versucht hat, aus dem Intellekt und Denkvermögen anderer Vorteile zu ziehen. Vermutlich, weil du selbst weder das eine noch das andere besitzt. Meinst du solche Wahrheiten? Die Art und Weise, in der du Amelie hintergangen hast, um dich an Andreas heranzumachen, damit ein geschwächter Mann dir zu Füßen liegt und eine ganze Familie in Unglück und Schande gezogen wird? Und das hinter dem Rücken deiner Jugendfreundin? Die Ehebrecherin, wie passt dir diese Wahrheit? Dass du wie eine Person dazustehen versuchst, die sich selber aufopfert, obwohl du immer in eigener Sache tätig bist? Dass du dich als Opfer siehst, um dich nicht im wahren Licht sehen zu müssen: als ein Mensch, der die Kreativität und Kraft anderer auffrisst, bis nichts mehr da ist? Ist es
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