Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)

Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)

Titel: Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
Autoren: Nika Lubitsch
Vom Netzwerk:
Judith kommt zum Kudamm
    ‚Kaldenberg, Schriftsteller‘, stand auf dem Zettel, den ihr das Jobcenter hatte zukommen lassen, um sie nun endlich aus ihren Statistiken entfernen zu können. Judith war hochbegeistert. Denn wenn sie diesen blöden Job nicht annehmen würde, dann wäre es vorbei mit Hartz IV. Die monatliche Überweisung war zwar nicht ganz so prall wie sie selbst, aber immerhin. Sie hatte also nur eine Chance: Kaldenberg musste sie ablehnen.
    „Als gelernte Journalistin werden Sie ja wohl recherchieren können“, hatte die Vermittlerin gesagt.
    Was sie denn recherchieren sollte, hatte sie gefragt.
    „Ach, alles Mögliche, über Gentechnologie und Biofirmen und so.“ Es konnte sich nur um einen Recherchejob bei einem Sachbuchautor handeln, der so spannende Machwerke wie ‚Die Chance im Klon' verfasste. Von einem Schriftsteller namens Kaldenberg hatte sie noch nie gehört, also konnte er nicht sehr bedeutend sein.
    In zwei schlaflosen Nächten hatte sie einen von Anfang an aussichtslosen Kampf mit ihrem Ego geführt. Judith Schilling, 28 Jahre alt, potentielle Anwärterin auf den Pulitzer-Preis, sollte einen drittklassigen Job bei einem drittklassigen Autor annehmen. Einen Minijob, natürlich. Klar haderte sie mit ihrem Schicksal. Sie haderte mit der Politik, der Globalisierung, den Managern und überhaupt mit der ganzen Welt. Was konnte sie dafür, dass sie trotz eines mit guten Noten abgeschlossenen Publizistikstudiums, mit Praktika in TV- und Rundfunksendern und einem abgeschlossenen Volontariat bei einer renommierten Tageszeitung Abend für Abend am Tresen in der Szenekneipe am Hackeschen Markt stehen musste? Um sich die Knete schwarz zu verdienen, die es ihr ermöglichte, neben einer Einraumwohnung auch noch genug Geld zum Essen zu haben. Sie wohnte schon, aber leben wollte sie schließlich auch.
    Jeden Abend, wenn sie die lärmende Meute schrecklich angesagt aussehender Menschen mit Bier, Wein und Cocktails bediente, fragte sie sich, was sie von ihnen unterschied. Was hatten die auf der anderen Seite des Tresens, das sie nicht hatte? Klar wusste sie, dass sie zur falschen Zeit den richtigen Beruf hatte. Frisch ausgebildete Journalisten waren derzeit so begehrt wie Sand in der Sahara. Die Leute kauften keine Zeitungen mehr, weil sie das alles umsonst im Internet lesen konnten.
    Kaldenberg war also das Ende ihrer Träume. Sie hasste diesen Ausbeuter, noch bevor sie ihn gesehen hatte. Die Adresse machte es nicht besser. Obwohl sie noch ein Kind gewesen war als die Mauer fiel, fühlte sie sich im West-Teil der Stadt immer wie ein Fremdkörper.
    Die Teilung Berlins hatte bereits in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen, als die Stadt anfing, sich wie Lava in Richtung Westen auszugießen. Bauern hatten ihre Felder für Millionensummen verkauft und sich angeberische, stucküberladene Miethäuser im neuen Westen dafür bauen lassen. Und der Höhepunkt der Prunksucht war für Judith der Kurfürstendamm.
    Nun stand sie also auf dem Kurfürstendamm vor so einem protzigen West-Berliner Haus und freute sich, dass sie sich entschlossen hatte, nur ja nicht so auszusehen, als ob sie diesen Job wirklich wollte. Ihre Jeans wiesen unübersehbare Flecken auf, die selbst der Gutwilligste nicht für Design halten konnte, und sie hatte das ausgeblichenste T-Shirt übergestreift, das sie finden konnte. Auch ihre Frisur drückte nichts als intellektuelle Verachtung aus. Die unordentlich hinter die Ohren gestrichenen braunen Strähnen signalisierten auch dem letzten Idioten, dass man für den angebotenen Minijob nicht auch noch sinnliche Reize erwarten konnte.
    Zwanzig Minuten zu spät erklomm sie die mit rotem Teppich ausgelegte Treppe, die von hohen Spiegeln und Marmorwänden flankiert wurde, tapfer das schmiedeeiserne Ungetüm von Fahrstuhl ignorierend. Kapitalismus pur! Im zweiten Stock war sie richtig. ‚Von Kaldenberg' stand auf einem blank polierten Messingschild unter dem altmodischen Klopfer, der sich als moderne Klingel erwies. Hallo? Auch noch ein Junker? Sie entschied sich blitzartig, das zu ignorieren. Drinnen hörte sie Staubsaugergeräusche, die in dem Moment verstummten, in dem sie an dem Klopfer zog. Eine junge Blondine, Typ Fotomodell, öffnete die Tür. Ihrem Akzent bei dem ‚ja bitte' entnahm sie, dass der Junker offensichtlich auf Ostimporte stand.
    „Schilling“, sagte sie, „ich habe einen Termin mit Herrn Kaldenberg.“
    Die Blondine schaute sie mit dieser Hochnäsigkeit an, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher