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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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anwesend war, und daß Jesus zu ihr gesagt haben soll: »Mutter, hier ist dein Sohn«, wobei er auf Johannes zeigte. Johannes bestimmt sich so zu Jesus’ direktern Nachfolger. Leider findet man weder bei Matthäus noch bei Markus oder Lukas die leiseste Andeutung, daß Jesus’ Mutter bei der Kreuzigung zugegen war. Matthäus erwähnt Maria Magdalena, Maria, Mutter des Jakobus und des Josef (welchen Josefs?), sowie die Mutter der Söhne des Zebedäus (27,56); bei Markus finden sich Maria Magdalena, Maria, Mutter des Jakobus und des Josef, sowie Salome (vermutlich die Enkelin der Maria, Witwe des Kleophas). Jesus’ Mutter jedoch, die ja schließlich keine Randfigur darstellt, taucht auch bei ihm nicht auf (15,40). Lukas nennt keine Namen; er spricht nur von »Frauen« (23, 49), aber ebenso wie Matthäus und Markus weist er darauf hin, daß sich jene Zuschauer »in einiger Entfernung« hielten, höchstwahrscheinlich am Tor der zweiten Stadtmauer, von wo aus man — vorausgesetzt, man hatte gute Augen — die Szene beobachten konnte. Man muß also bedauerlicherweise auf die Darstellung der drei Marien verzichten, jene Ikonographie, die der christlichen Kunst so lieb geworden ist, und erst recht auf die Pieta. Marias Abwesenheit ist übrigens verständlich angesichts der beleidigenden Abfuhren, die sie von Jesus hinnehmen mußte. Matthäus berichtet zum Beispiel (12, 48), daß Jesus, nachdem sie einmal einen Boten mit der Bitte, ihren Sohn sprechen zu dürfen, geschickt hatte, ausgerufen hat: »Wer ist meine Mutter?« Wirklich unverständlich dagegen ist die Abwesenheit der Jünger.
    Über Simon Petrus’ feiges Verhalten wird zur Genüge berichtet. Die Angst des alten Fischers vor der Tempelpolizei war größer als sein Verlangen nach dem Himmel, für den ihm — Ironie des Schicksals — die Schlüssel ausgehändigt wurden. Das Benehmen von Johannes allerdings, Jesus’ offensichtlichem Lieblingsjünger, ist viel unverzeihlicher. Oder aber es gilt nochmals einen geheimen Schlüssel zu überdenken, den er uns in seinem Evangelium liefert (18,15—16), wenn er von einem Jünger spricht, »der dem Hohenpriester bekannt« war und Jesus nach dessen Verhaftung noch in den Hof des Hohenpriesters folgte. »Petrus aber stand draußen vor der Tür. Da ging der andere Jünger (...) hinaus, und redete mit der Türhüterin und führte Petrus hinein.« Wer ist dieser Jünger, und warum nennt er seinen Namen nicht? Sollte es womöglich er selbst sein, da er über alle Einzelheiten so gut Bescheid weiß? Denn Johannes spricht gewöhnlich in der dritten Person von sich und flüchtet lieber in die Anonymität, wenn er selbst im Geschehen in Erscheinung tritt. Mit anderen Worten, Johannes könnte vom Hohenpriester oder einer dem Hohenpriester nahestehenden Person dazu überredet worden sein, sich nicht zu zeigen. Das Motiv für dieses abgekartete Spiel zwischen Jesus’ Lieblingsjünger und seinem Todfeind Kaiphas ist noch unklar. Fest steht jedoch das nicht gerade erbauliche Ergebnis.
    Thomas hatte sich bereits davongemacht, bevor das Drama seinen Lauf nahm; Judas Iskariot hatte den Verrat begangen; wo aber steckten die zehn anderen? Andreas, der Bruder des Simon Petrus? Jakobus, der Bruder des Johannes? Jakobus, Sohn des Alphäus, Thaddäus, Bartholomäus, Simon der Zelot, Judas, Sohn des Jakobus, Matthäus, Philippus, Natanael? Keiner ließ sich mehr blicken. Da sind uns aus der jüngeren Geschichte weiß Gott größere Vorbilder bekannt. Ich muß zugeben, daß ich den Jüngern nicht gerade Hochachtung entgegenbringen kann.
    Und was geschah mit Jesus? Seltsamerweise blieb er einige Zeit in der Gegend seiner Hinrichtungsstätte. Ein wenig später — und gewiß nicht schon nach den drei symbolischen Tagen, von denen in den Evangelien die Rede ist — taucht ein Mann im Garten Getsemani auf. Er begegnet dort Maria Magdalena; sie beachtet ihn nicht, da sie ihn für den Gärtner hält. Warum gerade für den Gärtner? Er spricht sie an: »Maria!« Da erkennt sie seine Stimme und schrickt zusammen. Folglich erkennt sie ihn nur an seiner Stimme. Es ist nahezu unmöglich, daß eine Frau, die einem Mann mehrere Monate lang gefolgt ist — vielleicht sogar mehr als nur das-, ihn lediglich an seiner Stimme wiedererkennt. Also muß sich seine äußere Erscheinung stark verändert haben. Warum aber sollte ein Auferstandener sein Erscheinungsbild ändern? Um der Polizei zu entkommen. Und wodurch sollte er sich verändert haben? Indem er sich den
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