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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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Punkt: Wenn Jesus das messianische Königtum anstrebte, würde er sich auf keinen Kompromiß mit den Römern einlassen; ein Bürgerkrieg war dann nicht mehr zu vermeiden. Die beiden Würdenträger glaubten folglich im Interesse dessen, was noch vom Volke Israels übriggeblieben war, zu handeln. Die kommenden Jahrzehnte sollten ihre Überlegungen grausam bestätigen. Als die Juden im Jahre 66 die Römer endlich aus Jerusalem vertrieben, startete Rom einen beispiellos brutalen Gegenangriff. Im Jahre 79 fiel Jerusalem nach einer erbarmungslosen Belagerung, jahrhundertelang durften die Juden nicht mehr in ihre Stadt zurückkehren, und der jüdische Staat hörte auf zu existieren. Hätte Jokanaan ben Sakkai nicht die Initiative ergriffen und von den Römern die Erlaubnis erhalten, eine jüdische Schule in Jamnia zu gründen, dann gäbe es heute vielleicht gar keine jüdische Religion mehr. Es schien mir also notwendig, sowohl die jüdischen als auch die politischen Elemente von Jesus’ Lebensgeschichte herauszuarbeiten. Auch wenn dieses Buch ein Roman und keine Streitschrift ist, rechtfertigen gewisse Geschehnisse des 20. Jahrhunderts, die das Entsetzen auf die Stufe des Zeitlosen und Unvergänglichen gehoben hat, hier doch mein Anliegen, sich jene grundlegende Wahrheit ins Gedächtnis zu rufen: Mit Jesus’ Verurteilung sollte ein Blutbad vermieden werden; leider war sie jedoch der Auslöser für viele andere Blutbäder vom präkolumbianischen Amerika bis Auschwitz.
    Zu Beginn dieses Nachworts habe ich die strukturellen Fundamente der Religionen des Mittelmeerraums und des Orients erwähnt. Sie decken sich, zumindest teilweise, unweigerlich mit den traditionellen christlichen Grundlagen. Man bräuchte schon das Format eines Georges Dumézil, um die Vielfalt in einer vergleichenden Studie über die verschiedenen Messiasvorstellungen, von denen die antiken Kulturen um das 1. Jahrhundert entscheidend geprägt wurden, erschöpfend zu behandeln. Damals wimmelte es nur so von messianischen Helden. Dieses Buch erwähnt nur drei der berühmtesten: Dositheus, Apollonios von Tyana und Simon den Magier. Neben ihnen gab es noch viele andere, zum Beispiel jenen essenischen Meister der Gerechtigkeit, der ebenfalls hingerichtet wurde und dessen »Profil« dem des später auftauchenden Jesus verblüffend ähnelte.
    Eines ist ihnen gemeinsam: Sie alle sind Gnostiker, das heißt, historisch gesehen, Erben jener Gesamtheit von Glaubenslehren asiatischen Ursprungs, die sich im 1. Jahrhundert herausbildete, als sie mit Hellenismus und Judaismus in Berührung kam, und die man heute mit Mystizismus umschreibt. Das Wesen der Gnosis liegt in der Suche nach transzendentaler Erkenntnis durch Erleuchtung. Ganz Palästina war von der Gnosis erfüllt, was dadurch zum Ausdruck kommt, daß Jokanaans samaritische Jünger sowohl unter dem Namen Dosithäer als auch Nazarener bekannt waren (wiederum ein Beweis dafür, daß man Nazarener sein konnte, ohne irgend etwas mit Nazaret zu tun zu haben).
    Auch Jesus wurde von der gnostischen Strömung erfaßt. Sein ganzes Verhalten ist gnostisch geprägt, auch seine gleichnishaften Reden zeugen davon, darunter folgende, die zu den ausdrucksvollsten seiner Gleichnisse zählt: »Euch ist’s gegeben, das Geheimnis des Reiches Gottes zu wissen; denen aber draußen widerfahret es alles durch Gleichnisse, auf daß sie es (...) mit hörenden Ohren hören, und doch nicht verstehen« (Mark. 4, 11—12). Hier offenbart sich in einem Satz der Mensch, der er war: Er kümmert sich nicht darum, ob er verstanden wird, und pflegt ganz bewußt die Unklarheit, und genau dies stürzt ihn beinahe ins Verderben. Die Juden haben ihn gegen seinen Willen in die Uniform des Messias gesteckt, die ihm einfach nicht passen kann. Für die meisten seiner Anhänger, seine Jünger inbegriffen, wirkte er nicht weniger inkohärent als ein El Cid, der im Théâtre-Français womöglich Valérys »Die junge Parze« rezitieren soll. Selbst Thomas, der doch mit der gnostischen Esoterik vertraut ist, glaubt ihn verstanden zu haben und hat ihn in Wirklichkeit doch nicht verstanden. In meiner Erzählung zeigt sich Thomas, ebenso wie die anderen Jünger, entsetzt über zwei Gleichnisse, vor allem über das, in dem Jesus von Omophagie spricht. Zu deutlich klingen hier wieder Grundzüge der griechischen Religion an, einer toten Religion, der er entflieht, und vor allem das Martyrium des Dionysos, dessen Körper tatsächlich von den Bacchen gegessen wurde
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