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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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I.
     
    Statt eines Titelblattes
     
    Hitze, Licht und Staub waren wie so oft gegen Ende des Winters zu einem Magma verschmolzen. Wie ein Fluch legte es sich über Jerusalem. Von Windstößen aufgepeitscht, wirbelte die heiße Asche an den Wegkreuzungen mit wütendem Ungestüm empor, als sei sie von den üblen Launen eines Dämons beseelt. Sie blendete einen, klebte auf der feuchten Haut, verstopfte die Nasenlöcher und knirschte zwischen den Zähnen. Sie trocknete und schwärzte auch die Blut- und Schweißrinnsale auf dem Rücken und den Beinen des nackten Mannes, der, von zwei hustenden Legionären gefolgt, am linken Ufer des Tyropeion flußaufwärts keuchte. Auf seinen Schultern schleppte der Mann einen nahezu vier Ellen * langen, eingekerbten Eichenholzbalken, und um ein gewisses Gleichgewicht zu erlangen, hatte er seinen Nacken in die Einkerbung gepreßt. Ein paar Schaulustige, die bei diesem unerträglichen Wetter nichts Besseres zu tun hatten, standen am Weg.
    »Ich kann sein Gesicht nicht sehen«, sagte einer. »Was hat er denn verbrochen?«
    »Efraim heißt er. Vorige Woche hat er auf dem Berg des Ärgernisses einen Reisenden fast bewußtlos geschlagen.«
    »Woher weiß man, daß er es war?«
    »Einerseits, weil der Reisende entkommen konnte und den Dieb beschrieben hat, und außerdem, weil dieser Dummkopf ins Bordell gegangen ist und dort mit einer Silbermünze gezahlt hat.«
    »Ich verstehe nicht, was ein anständiger Reisender auf dem Berg des Ärgernisses zu suchen hat.«
    »Und ich verstehe nicht, wie man in der Heiligen Stadt ein Bordell dulden kann.«
    »Auf alle Fälle sieht man bei diesem verfluchten Staub ohnehin nicht viel. Komm, gehen wir!«
    Kinder hüpften auf der Straße herum und grölten in die Staubwolken hinein irgendwelche Unflätigkeiten über die Geschlechtsteile des Verurteilten. Eine alte Frau erwischte eines von ihnen am Kragen und versetzte ihm als abschreckendes Beispiel für die anderen eine Ohrfeige. Daraufhin verfielen die Bengel nur auf eine neue Methode, ihre Belustigung kundzutun; sie erfanden sogleich einen Abzählreim: »Efraim muß durch das Tor des Efraim, das Tor des Efraim ist das letzte Tor für Efraim.« Tatsächlich bewegte sich der düstere Zug dem Efraim-Tor zu, durch das man auf den Weg nach Emmaus, Lydda und Joppe gelangte. Der nackte Mann jedoch würde nicht dorthin gehen, denn das Tor führte zunächst zum Golgota hinauf, der Schädelhöhe, wo man ihn bald kreuzigen würde.
    »Haut ab!« schrie der eine Legionär den Kindern hinterher und tat, als wolle er ihnen nachlaufen. Die Kinder nahmen schnell Reißaus. Am Efraim-Tor gerieten die Männer in eine kleine Staubwirbelbö, die sich in einer Gasse verlor. Die Legionäre nickten den Wachposten zu, die über einem Würfelspiel saßen und mit einem zerstreuten Kopfnicken antworteten.
    »Der dreiunddreißigste in diesem Jahr«, sagte ein Wachposten. »Sechzehn davon waren Räuber«, meinte ein anderer.
    Sie widmeten sich wieder den Würfeln. Der Räuber und die beiden Legionäre begannen, den Golgota emporzusteigen. Der Weg war nicht steil, aber der Räuber war am Ende seiner Kräfte; er blieb einen Augenblick lang stehen. »Weiter!« drängte einer der Legionäre.
    Endlich erreichten sie die Anhöhe. Fünf Kreuze erhoben sich dort, eines davon war höher als die anderen. Auch ein einfacher Pfosten stand da. Zu ihm gehörte der Querbalken, den der Räuber unter lautern Stöhnen am Boden absetzte. Der Nackte sah zu den Kreuzen hinauf und erschauerte. An einem hingen die Überreste eines Leichnams, dessen obere Hälfte von den Milanen, die untere von vierbeinigen Räubern, vermutlich Füchsen und Schakalen, zerfetzt worden war. Die linken Rippen lagen frei. Ein Bein fehlte; die Geier hatten es abgerissen, nachdem die Henker die Schienbeine gebrochen hatten. Vor allem der Hals war von den Raubvögeln so übel zugerichtet worden, daß den augenlosen Schädel nur noch die vertrockneten Gelenkbänder am Rumpf hielten. Vom Wind bewegt, baumelte der Schädel vor der Brust hin und her wie in eigensinniger Verneinung.
    Der eine Legionär zog das Urteil hervor, das Efraim zum Tode am Kreuz bestimmte, und reichte es dem wartenden Henker. Dieser war ganz offensichtlich kurzsichtig, denn er mußte das Schriftstück regelrecht an sein rechtes Auge halten, um es entziffern zu können. »Efraim«, sagte er, »aber so heißt ja auch mein ältester Sohn!«
    Er kniff die Augen zusammen, um den Räuber eingehend zu mustern. Dann
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